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„Luft holen!“: Was das Motto der EKD-Fastenaktion bedeutet

Die Passionszeit hat begonnen. Und mit ihr die Fastenaktion der Evangelischen Kirche. Domprediger Stefan Scholpp erklärt, wie er das Motto „Luft holen! Sieben Wochen ohne Panik“ versteht.

„Luft holen! Sieben Wochen ohne Panik” lautet das Motto der diesjährigen Fastenaktion der EKD
„Luft holen! Sieben Wochen ohne Panik” lautet das Motto der diesjährigen Fastenaktion der EKDImago / Shotshop

„Luft holen!“ Der Satz markiert für mich das Thema der Passionszeit 2025, die am Aschermittwoch begonnen hat. Nicht nur der Aktion „7 Wochen ohne“, deren Motto er in diesem Jahr ist, nein: Das Thema der Zeit im Kirchenjahr, die Christinnen und Christen in besonderer Weise verbindet mit dem Weg Jesu. Die zur Nachfolge aufruft, wie Jesus am Beginn seines Leidenswegs die Jüngerinnen und Jünger aufrief: „Seht, wir gehen hinauf nach Jerusalem, und es wird alles vollendet werden, was geschrieben ist durch die Propheten von dem Menschensohn“ (Lukas 18,31).

Luft holen ist ein guter Rat, bevor ich ins kalte Wasser springen muss. Luft holen, bevor der Startschuss fällt. Luft holen, bevor ich einen steilen Aufstieg in Angriff nehme, bevor ich zu singen beginne. Luft holen, bevor es losgeht. Aber Luft holen ist erst der zweite Schritt. Zuvor muss ich ausatmen. Den Atem gehen lassen. Krämpfe lösen. Den Brustkorb leeren und Raum schaffen für Neues. Wer nicht ausatmet, überbläht die Lungen, hyperventiliert schnell. Ich meine das nicht nur metaphorisch! Wem je eine schlimme Nachricht überbracht wurde, weiß vielleicht, was ich meine.

AfD, Trump und Krieg: Wie gelingen „Sieben Wochen ohne Panik“?

Und es gibt so viele schlimme Nachrichten zu verdauen in diesen Wochen und Monaten. Die Ergebnisse der letzten Wahlen: Rechtsextremisten feiern die AfD als zweitstärkste Kraft im Deutschen Bundestag und in drei Länderparlamenten. Die fürchterlichen Vorgänge in den USA: Angriffe der Trump-Administration auf die Unabhängigkeit der Justiz, die Funktionsfähigkeit der Verwaltung, die Berichterstattung der freien Presse und die Bürgerrechte von Minderheiten. Die Herabwürdigung des Gaza-Streifens und seiner Bewohnerinnen und Bewohner zuerst zum Kollateralschaden im Krieg gegen den Terror und dann zu einer Immobilien-Entwicklungszone.

 

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Das gezielte Zerbrechen der europäischen Sicherheitsarchitektur durch den mittlerweile dreijährigen Krieg Russlands gegen die Ukraine, Drohungen der USA gegen gute Freunde, die öffentliche Demütigung von bisherigen Verbündeten. Und die Algorithmen im Netz belohnen stets die Emotionalisierung und Polarisierung von Kurznachrichten, Tweets und Posts. Die Weltlage und ihre Kommunikation sind kurzatmig geworden.

Ausatmen. Einen Moment nachdenken. Drüber schlafen. Und dann: Luft holen! Atem schöpfen. In der Schöpfungsgeschichte schuf Gottes Atem aus einem Klumpen Erde den ersten Menschen. Durch Gottes Atem wird aus toter Materie der Mensch, ein lebendiges Wesen. Etwa 20.000 Mal am Tag atmen wir seither aus und wieder ein, und das so lange wir leben. Dieser Atem des Lebens ist der Geist Gottes!

Fastenzeit: Luft holen für die Demokratie

Ausatmen ist gefragt in diesen Wochen und Monaten. Sich frei machen von Angst und Depression. Nachdenken. Den Weg Jesu nach Jerusalem meditieren: Er führt nicht in den Ruhm, sondern ans Kreuz. Das ist die Aufgabe, vor der die Nachfolge Jesu immer stand. Den Weg Jesu zu den Opfern, den Schwachen, den Ausgegrenzten nach- und mitgehen. Das ist beileibe kein einfacher Weg. Also: Ausatmen. Wahrnehmen, was geschieht. Jesu Weg an die Seite der Schwachen erinnern. Was würde Jesus dem reichen Jüngling sagen, der ihn fragt, wie er ein sinnerfülltes Leben führen kann? Und dann: Luft holen, für den schweren Angang der Nachfolge.

Luft holen auch im gesellschaftlichen Raum! Unsere politische Klasse muss jetzt schnell eine Regierung bilden, die sich möglichst geräuschlos und effektiv an die Lösung von immensen Problemen macht. Sieben Wochen sollten dafür ausreichen. Die Menschen in Deutschland müssen schnell wieder das Vertrauen entwickeln können, sicher zu leben – im Inneren wie im Äußeren. Wir müssen die Hoffnung haben können, dass auch unsere Kinder und Enkel eine lebenswerte Umwelt vorfinden werden. Wir müssen von unserer Arbeit leben können, und auch wer nicht arbeiten kann, darf nicht verelenden. Wir brauchen bessere Infrastruktur, bessere Bildung und bessere Gesundheitsfürsorge. Und wir müssen unsere Demokratie verteidigen. Niemand will in einer Diktatur leben – außer den Diktatoren. Aber Demokratie braucht immer wieder frische Luft.

“Sieben Wochen ohne Panik”: Ausatmen üben in der Fastenzeit

Ausatmen. Das will ich auch für mich ganz persönlich üben in dieser Fastenzeit. Ausatmen – sind die Ängste, die Extremisten immer schüren wollen, wirklich begründet? Schätze ich die tatsächlichen Bedrohungen meines Lebens richtig ein? „7 Wochen ohne Panik“, dafür mit einer guten Portion nüchterner Nachdenklichkeit.

Und dann: „Luft holen!“ Reden, was wahr ist – möglichst ohne zu verletzen. Tun, was klar ist – möglichst ohne zu verurteilen. Jesu Weg nach Jerusalem mitgehen: zu den Ausgegrenzten am Rande, den Zurückgelassenen im Dunkeln, den Verirrten im Dickicht. Dort, unter dem Kreuz, ist der Platz von Jesu Jüngerinnen und Jüngern, und nicht im Spa-Resort an der Riviera des Lebens. Also: Luft holen! Denn Christenmenschen brauchen einen langen Atem.

Stefan Scholpp ist Domprediger im Berliner Dom.

Der Berliner Dom lädt in diesem Jahr zur Fastenpredigtreihe mit dem Titel „leib-haftig. 7 Ansichten in Wort und Musik“. Im Mittelpunkt steht der siebenteilige Hymnus „Oratio Rhythmica“, mit dem der Mönch Arnulf van Löwen im 13. Jahrhundert den gemarterten Körper Christi am Kreuz besungen hat. Jeweils sonntags, 18 Uhr im Berliner Dom. Auftakt am 5. März um 19 Uhr mit Stefan Scholpp. Alle Gottesdienste gibt es hier als Liveübertragung.