Den Ritus des heute noch im katholischen Aschermittwochsgottesdienst übliche Aschenkreuz gibt es seit dem 10. Jahrhundert. Die Asche gewinnt man aus den im Vorjahr bei der Palmprozession geweihten Zweigen. Der Priester segnet die Asche und streut sie den Gottesdienstbesuchern aufs Haupt. Oder er zeichnet ihnen ein Aschenkreuz auf die Stirn. Dabei zitiert er einen Satz aus der Schöpfungserzählung der Bibel: „Gedenk, o Mensch, dass du Staub bist, und zum Staub wirst du zurückkehren.“
In der Bibel und im Volksmärchen – Stichwort Aschenputtel – bedeuten Staub und Asche dasselbe: etwas Flüchtiges, völlig Gewöhnliches, komplett Wertloses. Hiob sitzt traurig in der Asche, nachdem er alles verloren hat, seine Habe und seine Familie. Wenn ein neuer Papst in sein Amt eingeführt wurde, verbrannte ein Kardinal einst vor seinen Augen einen Wollfaden, um ihn daran zu erinnern, dass alle Herrlichkeit der Welt vergeht und auch die Papstwürde nur auf Zeit verliehen wird.
Aschermittwoch: Die symbolische Bedeutung der Asche
Seit Gott in Jesus Mensch geworden ist, vergänglicher, verwehender Staub, besteht allerdings Hoffnung, dass dieses nichtige Menschenleben geliebt ist, gerettet werden wird und eine Zukunft über den Tod hinaus hat. Burnout, Tristesse, Depressionen, der Verlust von Schwung und Daseinsfreude, die bittere Sehnsucht nach Visionen und Perspektiven: Viele Menschen leiden heute darunter, dass unter der Asche ihres Lebens jede Glut erloschen ist. Das Bild hat aber auch eine positive Seite: Asche reinigt, wäscht den schmutzigen Belag ab, der vielleicht auch die Seele verkleistert und behindert.
Harte, provokante Bibeltexte sind am Aschermittwoch in den Kirchen zu hören: „Kehrt um zu mir von ganzem Herzen mit Fasten, Weinen und Klagen. Zerreißt eure Herzen und kehrt um zum Herrn, eurem Gott!“ – „Hab Mitleid, Herr, mit deinem Volk und überlass dein Erbe nicht der Schande.“ – „Jetzt ist sie da, die Zeit der Gnade; jetzt ist er da, der Tag der Rettung. In allem empfehlen wir uns als Diener Gottes: in Bedrängnis, in Not und in Angst, durch Fasten, durch lautere Gesinnung, durch Güte, durch ungeheuchelte Liebe.“
Warum isst man an Aschermittwoch Fisch?
In alten Bräuchen, die anscheinend halb zum Fasching und halb zur Fastenzeit gehören, ist der Bruch spürbar: etwa im Geldbeutelwaschen am Morgen des Aschermittwoch. Die Symbolik ist klar: Befreiung vom Besitzdenken und Materialismus. Oder am selben Tag das Fischessen: Schließlich ist der Fisch die älteste Chiffre für Christus, ein geheimes Erkennungszeichen aus der Zeit der Katakomben. Denn die griechischen Anfangsbuchstaben der Formel „Jesus Christus, Gottes Sohn, Retter“ ergeben das Wort „ichthys“, Fisch. Wenn man das weiß, dann kann dieses Fischessen ein sprechendes Zeichen der Umkehr zu Christus sein.
Viele Menschen – und auch immer mehr Mediziner – entdecken das Fasten heute neu als einen Weg der inneren Freiheit. „Verzichten ist ein Zeichen von Stärke“, sagt der Benediktiner Anselm Grün und zitiert Sigmund Freud: Wer nicht verzichten kann, vermag kein starkes Ich zu entwickeln. Grün: „Und wer immer sofort jedes Bedürfnis befriedigen muss, der kann nicht wirklich genießen.“

Verzicht als Ermöglichung von Freiheit. Befreiung vom Zwang, dauernd zu trinken, klingt doch schon viel besser als Alkoholverbot. Wer Handy und PC nicht auch mal ausschalten kann, wird Schwierigkeiten im direkten Kontakt mit Menschen bekommen. Der Workaholic, der keine Erholung kennt, geht kaputt, seelisch und körperlich. Der Kontrastbegriff zum Verzicht heißt Sucht.
Fastenzeit: Sich von Überflüssigem trennen. Abhängigkeiten überwinden. Sich wieder an einfachen Dingen freuen. Die Lebensmitte wiederfinden. Das Sein höher schätzen als das Haben. Nein, umkehren, sich aus Schuldverstrickungen lösen ist nichts Lebensfeindliches. Und die Einschränkungen beim Essen und Trinken sind nur Chiffre, Symbol für das, was eigentlich gemeint ist: Neuorientierung, Bewusstseinsveränderung, Kehrtwende.
Was Ramadan und die christliche Fastenzeit gemeinsam haben
Auch die Muslime kennen eine Zeit der Umkehr, arabisch Ramadan genannt, „der heiße Monat“. Muslime kombinieren das Fasten mit Meditieren, Schweigen, Koranlesen. Christen fasten ebenfalls, um Heilung für ein verwundetes, krankes, desorientiertes Leben zu finden und für Gott frei zu werden. Sie haben noch eine zusätzliche Motivation: Sie fasten, wie es Jesus getan hat; und sie bereiten sich damit auf Ostern vor, das Fest der Auferstehung, an dem die Fülle des Lebens gefeiert wird und alle Grenzen überschritten werden, auch die des Todes.
Deshalb sprechen die Katholiken heute lieber von „österlicher Bußzeit“ als von Fastenzeit; die Protestanten halten am Begriff „Passionszeit“ fest. Dem einen großen Gedanken der Umkehr, der Lebenswende dienen alle Riten in diesen Wochen, deren Sonntage geheimnisvolle Namen tragen: Oculi, Lätare, Judika nach den lateinischen Anfangsworten der uralten Eingangsgesänge.
Mancherorts gibt es noch Restbestände christlicher Folklore, wenn man es so respektlos ausdrücken darf. Vor allem in der Karwoche die düsteren Prozessionen wie in Lohr am Main oder in Saal an der Donau. Die sollen mit „Heiligen Gräbern“ in oberbayerischen Kirchen, die mit einem Blumenmeer und flackernden bunten Lichtern geschmückt sind, aber auch mit dem „Todaustragen“ am Sonntag Lätare den Winter endgültig vertreiben. Solche Riten enden mit dem Ertränken oder Verbrennen einer Strohpuppe. Man begrüßt dankbar den herannahenden Frühling, ist aber auch bereit, in der eigenen Seele neues, frisches Leben zu wecken.
Fastenzeit als Entdeckungsreise im eigenen Inneren
Fastenzeit, Passionszeit, österliche Bußzeit: ein Weg der Umkehr, eine Entdeckungsreise in das eigene Innere, ein Abenteuerurlaub von eingefahrenen Gewohnheiten, eine aufregende Suche nach neuen Möglichkeiten und Visionen. Die Suche beginnt mit der Frage, woran unser Herz hängt, was wir aufzugeben bereit sind, wonach wir uns sehnen, wo wir eigentlich hin wollen.