„Das Risiko, während der Flucht, in den Erstaufnahmeländern und in den Unterkünften Opfer von Menschenhandel zu werden, ist hoch“, stellte Henrike Janetzek-Rauh fest. „Menschenhandel selbst stellt eine schwere Menschenrechtsverletzung dar“, führte die Mitarbeiterin der Rechtsabteilung des Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) weiter aus. „Zu den Erfah-rungen von Opfer von Menschenhandel zählen aber auch schwere Menschenrechtsverletzungen, wie zum Beispiel sexuelle Versklavung, physische Gewalt, Nahrungsentzug, Entführung, Freiheitsberaubung und Vorenthalten medizinischer Behandlung.“ Auf die Arbeit der Fachberatungsstellen für Opfer von Menschenhandel haben die internationalen Flüchtlingsbewegungen Auswirkungen: Die Herkunftsländer der Klientinnen verschieben sich, die Zusammenarbeit mit der Flüchtlingshilfe und dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) muss intensiviert werden.
25 Mitarbeitende aus Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Bremen, Hamburg, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein waren nach fünfjähriger Pause der Einladung zum zweitägigen bundesweiten Vernetzungstreffen der evangelischen Fachberatungsstellen gegen Menschenhandel durch die Evangelische Frauenhilfe in Westfalen e.V., der Fachberatungsstelle NADESCHDA und der Diakonie Deutschland Ende September in die Tagungsstätte Soest gefolgt.
Marina Bruccoleri, „La Strada“-Mitarbeiterin in Bozen, nannte in ihrem Impulsvortrag die Hauptherkunftsländer der Geflüchteten in Italien: „Nach den vom Innenministerium Italiens gelieferten Zahlen aus dem letzten Jahr behält der Zustrom aus Eritrea (38 612) die Oberhand, gefolgt von Nigeria (21 886) und Somalia (12 176).“ Der Sonderbeauftragte für Migration und Flüchtlinge (BAMF), Tobias Hinz, führte in seinem Impulsvortrag im Unterschied dazu aus, dass von Januar bis August 2016 unter den knapp 564 500 Erstanträgen in Deutschland rund 40 Prozent aus Syrien und knapp 18 Prozent aus Afghanistan stammten, während es aus Nigeria lediglich 1,5 und aus Eritrea knapp zwei Prozent waren.
Beschlüsse: Das bundesweite Vernetzungstreffen evangelischer Fachberatungsstellen für Opfer von Menschenhandel, das vor der fünfjährigen Pause über viele Jahre jährlich stattfand, soll wieder verstetigt werden und mindestens alle zwei Jahre stattfinden. Eine Mitwirkung beim 36. Deutschen Evangelischen Kirchentag vom 24. bis 28. Mai 2017 in Berlin und Wittenberg wurde ebenfalls beschlossen.
Für die Fachberatungsstellen, deren Opfer von Menschenhandel häufig den Weg von Italien aus nach Deutschland nehmen, waren diese Zahlen erhellend. Zu regem Austausch unter den Fachberaterinnen führten die in beiden Vorträgen vermittelten Informationen zu Verfahren und Herausforderungen bei der Identifizierung von Opfern von Menschenhandel unter den Geflüchteten.
Henrike Janetzek-Rauh nannte darüber hinaus Fakten zur Situation von Opfern von Menschenhandel im Asylverfahren weltweit, in der EU und in Deutschland. Nach Angaben der UNHCR-Mitarbeiterin gab es 2015 weltweit 64 Millionen Schutzsuchende und Geflüchtete. Zwar sei nicht jede darunter auch Opfer von Menschenhandel, doch bedeute viele Schutzsuchende in Deutschland auch einen Anstieg der Zahl der Opfer von Menschenhandel. Den Anteil von Frauen bei den Erstanträgen im Asylverfahren betrug 2015 bezifferte sie auf 24 Prozent.
Die Herkunftsländer der Opfer von Menschenhandel und die der Schutzsuchenden in Deutschland variieren. Von keiner Seite seien verlässliche Zahlen über die Anzahl der Opfer von Menschenhandel unter den Geflüchteten zu erhalten. Sie ließ aber keinen Zweifel an ihrer Feststellung: „Opfer von Menschenhandel finden sich in der Praxis auch im Asylverfahren in Deutschland.“ Um sie unter der hohen Zahl der Asylsuchenden identifizieren und ihnen besonderen Schutz gewährleisten zu können, sieht sie Sensibilisierungs- und Schulungsbedarf beim neu eingestellten Personal beim BAMF sowie in den Behörden und Ämtern der Länder.
Moderierten fachlichen Austausch gab es bei der Tagung in Soest unter anderem zu den Themen Unterbringung und Zuweisung außerhalb von Asylunterkünften sowie zu speziellen Personenkreisen wie unbegleiteten Minderjährigen, Frauen aus Westafrika und Männern. Die Tagung fand im Rahmen des Projektes „Flüchtlingsberatung für Frauen, die von Menschenhandel betroffen sind“, der Beratungsstelle NADESCHDA statt, das mit Mitteln für „Projekte zur Unterstützung von Frauen mit Fluchterfahrungen beziehungsweise anderer besonders schutzbedürftiger Personengruppen“ der Integrationsbeauftragten der Bundesregierung gefördert wird.
Näheres zur Arbeit von NADESCHDA unter www.nadeschda-owl.de.
Die Autorin, Manuela Schunk, ist Öffentlichkeitsreferentin der Evangelischen Frauenhilfe in Westfalen.