Im Januar 2017 wurde Ibrahim Azar als Nachfolger von Mounib Younan zum neuen Bischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Jordanien und im Heiligen Land gewählt. Zum Jahresanfang 2018 hat er sein Amt angetreten. Vor Kurzem war der 56-jährige evangelische Theologe, der in München studiert hat und zuletzt Pfarrer an der Jerusalemer Erlöserkirche war, zu Besuch in Deutschland. Im Gespräch mit Markus Kowalski in Berlin berichtet er von dem früher guten Miteinander von Christen und Muslimen im Nahen Osten – und davon, warum das heute nicht mehr so ist.
Herr Bischof Azar, wie erleben die Christinnen und Christen in Palästina zurzeit den Nahostkonflikt?
Ich erlebe immer wieder, dass die Menschen sich nach einem friedlichen Zusammenleben sehnen, nach einer Zukunft, in der die Kinder in Freiheit und Frieden leben können. Viele unserer Gemeindeglieder sind Flüchtlinge oder Flüchtlingskinder, die aus dem Iran, Jordanien oder Syrien stammen. Ihre persönliche Geschichte ist daher direkt mit dem Nahost-Konflikt verbunden.
Was können die Christen vor Ort tun, um zum Friedensprozess in der Region beizutragen?
Wir Christen sind wichtig für das Land. Wir sind zwar eine Minderheit, aber wir können ein gutes Vorbild sein für den Frieden. Wir treten für das Zusammenleben der drei Religionen im Land ein und wollen uns in guter Verständigung mit Juden und Muslimen üben.
Im Gottesdienst zu Ihrer Einführung vor einigen Wochen haben Sie dafür gebetet, dass das Verbindende zwischen Christen und Muslimen stärker wahrgenommen wird als das Trennende. Was trennt beide Gruppen noch?
Die Trennung von Christen und Muslimen wurde von außen, durch den politischen Konflikt, herbeigeführt. Muslime und Christen wachsen in Palästina gemeinsam auf, wir haben als Kinder freitags nach der Moschee und sonntags nach der Kirche zusammen gespielt. So etwas verbindet, Freundschaften entstehen. Den meisten von uns geht es nicht um eine politische Ausrichtung.
Ihr Vorgänger Munib Younan war ein politischer Bischof. 2009 hat er das Kairos-Palästina-Dokument unterschrieben, später hat er die Unterschrift zurückgenommen. Darin wurde zum Boykott israelischer Waren aufgerufen. Wie stehen Sie dazu?
Im Kairos-Palästina-Dokument stehen viele Punkte, die wichtig für uns Palästinenser sind. Es geht zum Beispiel um die Verständigung zwischen den Religionen, aber auch um unsere Herkunft als Christen im Heiligen Land. Der Aufruf zum Boykott ist einer von vielen Punkten. Das Wort „Boykott“ kann auf unterschiedliche Weise interpretiert werden: Damit kann ein Druckmittel gegenüber Israel gemeint sein, um den Frieden herzustellen. Oder ein Mittel, mit dem wir eine andere Nation bekämpfen wollen.
Was denken Sie, was gemeint ist?
Der Boykott-Aufruf sollte Israel unter Druck setzen, den Palästinensern in den besetzten Gebieten ihre Rechte zu geben. Ich bin dagegen, zu sagen: „Kauft nicht bei Juden!“ Denn ich kenne auch die schmerzhafte Geschichte der Israelis – und das macht den Boykott-Aufruf so problematisch. Ich würde das Dokument in anderen Worten schreiben, um klarzustellen, dass wir nur gegen die Besatzung sind, nicht gegen Israel.
Verstehen Sie die evangelisch-arabische Kirche als eine Vertretung der Palästinenser in der Politik?
Ich kann nicht für die Haltung aller palästinensischen Christen sprechen, dafür sind wir zu demokratisch. Jeder hat seine eigene Meinung. Wir vertreten aber die Christen im Land in dem Sinne, dass wir die Rechte der Palästinenser einfordern.
Wie viel Missions-Auftrag steckt heute noch in der palästinensischen Kirche?
Unser Missionsziel im Heiligen Land ist es nicht, die Leute dazu zu bringen, ihre Religion zu ändern. Mission bedeutet für uns, als Christen unter den anderen zu leben und als gutes Vorbild zu überzeugen. Wir akzeptieren die Muslime genauso wie die Muslime uns akzeptieren. Wie auch in unseren Schulen in Beit Sahour, Bethlehem und Ramallah, in denen christliche und muslimische Kinder gemeinsam lernen. Dadurch knüpfen sie Freundschaften und werden anderen Religionen gegenüber toleranter.
Wie kann die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) die Christen in Palästina unterstützen?
Es hilft natürlich, zu wissen, dass wir im Gebet mit den Christen in Deutschland verbunden sind. Wir wollen vor allem die Erziehungs- und Schularbeit fortführen, das ist auch der richtige Weg für unsere Kirche. Aktuell haben wir ein Housing-Projekt, bei dem wir 84 Wohnungen für junge Leute auf dem Ölberg in Jerusalem bauen wollen. Die EKD hat uns 15 000 Quadratmeter zur Verfügung gestellt. Wir warten aber seit 15 Jahren auf eine Genehmigung, um dort bauen zu können. Es sind noch viele bürokratische Hürden zu überwinden.