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Kirchenaustritte: Sage leise “Servus” im Amtsgericht

In Berlin muss der Kirchenaustritt persönlich im Amtsgericht kund getan werden. Unser Autor hat von einer Justizangestellten erfahren, wie lautlos aber auch gesprächsintensiv Austritte erfolgen.

Klingelschild mit Kircheneintritt und Kirchenaustritt
Klingelschild mit Kircheneintritt und KirchenaustrittIMAGO / Christian Ohde

Ende November findet in Berlin eine Tagung der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) statt, bei der es um eine aktuelle Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung geht. Über die Ergebnisse dieser Studie ist noch nichts bekannt. Aber schon der zweite Satz der Einladung deutet an, dass keine allzu frohen Botschaften zu erwarten sind. „Religion und Kirchen bleiben trotz abnehmender Bindungen relevante Player.“ Die Einzelheiten der Untersuchung über die Kirchenmitgliedschaft werden kluge Menschen aus Wissenschaft, Kirchen und Politik analysieren.

Leider fehlen Christinnen und Christen, die im Gemeindeleben engagiert sind. Sie könnten darüber berichten, warum es Menschen gibt, die immer noch Wert auf aktive Kirchenmitgliedschaft legen. In den Diskussionsrunden fehlen auch Beiträge gleichgültig passiver Kirchenmitglieder, die dennoch – warum? – in der Kirche bleiben. Ebenso sind keine ehemaligen Kirchenmitglieder vertreten, die ihre Mitgliedschaft aufgekündigt haben.

Bundesländer handhaben Kirchenaustritte unterschiedlich

Austritte aus der Kirche werden von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich gehandhabt. Meist sind es Standesämter, die für das Adieu zuständig sind. In Berlin, Brandenburg, Hessen und Nordrhein-Westfalen muss man den Abschied aus der Kirche im Amtsgericht erklären. Der Austritt kostet Geld, in Baden-Württemberg bis zu 60 Euro, im Rest der Republik um die 30 Euro. Ausnahmen sind Brandenburg und Bremen: Dort ist der Austritt aus der Kirche kostenlos. „Für manche Bürgerinnen und Bürger, die zu uns ins Amtsgericht kommen, sind diese Gebühren überraschend. Und ein Missverständnis zugleich“, sagt eine zuständige Justizangestellte in Berlin, die im Jahr 2022 hauptsächlich Kirchenaustritte beurkundet hat.

Amtsgerichtschild
AmtsgerichtschildIMAGO / Funke Fotoservice

Ab und an müsse sie erklären, dass 30 Euro die Kosten der Justizverwaltung begleichen und dass das Geld nicht etwa der Kirche zugutekomme. Ein Austritt kann nur persönlich und gegenüber einer Amtsperson erklärt werden. Die Prozedur ist recht aufwendig: Nach dem Austritt muss die Statistik von Gericht oder Behörde eingepflegt werden, muss das zuständige Bezirks- oder Gemeindeamt, die Kirchenverwaltung und das Finanzamt informiert werden, das die Kirchensteuer erhebt beziehungsweise nicht mehr erhebt.

Kirchenaustritte gab es schon zur Kaiserzeit

Dass Menschen in Deutschland ihre Kirchenmitgliedschaft beenden, ist nicht neu. Schon im Kaiserreich verzeichneten die Ämter mittlere sechsstellige Zahlen. In der Weimarer Zeit schwoll die Summe auf knapp 3000000 Austritte an, die meisten in Preußen und aus der evangelischen Kirche. In der DDR waren zuletzt drei von vier Bürger konfessionslos.

Und heute in der Bundesrepublik? Im Verhältnis zur Mitgliederzahl gab es die meisten Austritte in Bayern, Baden, Bremen und Norddeutschland, dicht gefolgt von der Evangelischen Kirche in Berlin Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO), wo im vergangenen Jahr knapp zwei Prozent (17171 Personen) die Kirchenmitgliedschaft aufkündigten. Austrittsprozeduren sind überall ähnlich. Amtsgerichte sind in Berlin zuständig, weil sie das Abstandsgebot zwischen Staat und Kirche nach außen besser repräsentieren, wie es heißt. Die meisten Menschen treten wortlos aus der Kirche aus.

Nach Gründen wird nicht gefragt

Die Mehrzahl tritt aus, weil die Kirchensteuer nicht gefällt. Das belegen alle repräsentativen Austrittsstudien, das bestätigt aber auch die Berliner Justizangestellte: „Die meisten, die im Amtsgericht ihren Austritt erklären, tun dies wortlos“, sagt sie, „wir fragen natürlich nicht nach Gründen.“

Andere wiederum sind froh, dass sie erzählen können. Besonders bei jungen Leuten, die ihre erste Gehaltsabrechnung gelesen hätten, gebe es des Öfteren eine Art Kirchensteuerschock. „Sie wissen manchmal gar nicht, dass sie ein eingetragenes Kirchenmitglied sind.“ Nicht selten müssen sie auf die Frage, welcher Konfession sie angehören, ratlos passen. „Konfession, äh?“ Der Begriff ist ihnen ebenso fremd wie evangelisch (ev) oder römisch- katholisch (rk).

Kreuz mit Schriftzug "Kirchenaustritt"
Kreuz mit Schriftzug "Kirchenaustritt"IMAGO / Bihlmayerfotografie

Vermutlich haben sie noch nie einen Brief oder einen Anruf aus ihrer Gemeinde bekommen. Die Kirchen müssen sich fragen, ob sie alles tun, um ihre Schäflein zu halten. Als die Lebenshaltungskosten stiegen, traten Berlinerinnen und Berliner aus, um ohne Kirchensteuer besser über die Runden zu kommen, wie sie sagen.

Geld ist nicht immer der Grund

Zufallsgespräche zwischen der Justizangestellten und austrittswilligen Bürgerinnen und Bürgern handeln aber nicht nur vom Geld. Es gibt fundamentale Glaubenskrisen, die aber so gut wie nicht thematisiert werden. Katholiken begründen ihre Kündigung oft mit Missbrauchsskandalen.

Bei den evangelischen (und meist älteren) Austrittswilligen dominieren politische, gesellschaftliche oder eher persönliche Gründe. Ein typisches Beispiel sei das diakonische Unternehmen, das in Berlin eine Einrichtung für Senioren in ein Flüchtlingswohnheim umwandeln wollte. Als dies bekannt wurde, gab es Menschen, die ihren Austritt aus der evangelischen Kirche damit begründeten.

Eher selten sind Austritte wegen einer angeblichen Nähe zu politischen Parteien oder zu Themen der Zeit. Besonders vehement werde über individuelle Austrittsgründe gesprochen – Ärger im Kirchenchor oder Zwietracht in der kirchlichen Gemeindearbeit etwa. Das seien Menschen, die sich mit ihrem Austritt erkennbar schwertun, sagt die Justizangestellte.