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Jüterbog: Kirche zeigt Kante gegen AfD-Bürgermeister

Der AfD-Bürgermeister im brandenburgischen Jüterbog greift in einem Youtube-Video die Kirchengemeinde an. Und die reagiert mit einem Zeichen gegen Hetze.

Vor wenigen Monaten trat der bis dahin parteilose Kommunalpolitiker Arne Raue der AfD bei
Vor wenigen Monaten trat der bis dahin parteilose Kommunalpolitiker Arne Raue der AfD beiImago / Jan Huebner

Die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg schlesische Oberlausitz (EKBO) zeigt dem AfD-Bürgermeister Arne Raue des Brandenburger Städtchens Jüterbog die Stirn. Bischof Christian Stäblein persönlich stellte sich hinter einen Pfarrer und eine pensionierte Pfarrerin von Jüterbog, die von Raue in einem Video verbal angegriffen wurden. Stäblein sagte, es dürfe nicht zugelassen werden, „dass Hetze unser Miteinander zersetzt“. Die Angriffe seien „unerträglich“. Er dankte den angegriffenen Pfarrern „für den sehr guten Dienst, den sie für ihre Kirche und die Menschen in Jüterbog machen“.

Arne Raue ist seit mehr als einem Jahrzehnt Bürgermeister der 13. 000 Einwohner zählenden Stadt. Vor wenigen Monaten trat der bis dahin parteilose Kommunalpolitiker der AfD bei. Er ist damit der erste hauptamtliche AfD-Bürgermeister in Brandenburg.. Überraschend kam der Schritt nicht. Raue, der sich derzeit für die AfD um ein Bundestagsmandat bewirbt, fällt seit Jahren durch fremdenfeindliche Entgleisungen auf. 2015 hatte er die Bürger der Stadt vor Kontakt mit Flüchtlingen gewarnt, weil „schon bei geringfügigem Kontakt mit Neuankömmlingen Gefahr von Infektionskrankheiten besteht“. In sozialen Medien fiel er immer wieder durch Verschwörungstheorien und Posts auf, die Flüchtlinge verunglimpfen, aber auch durch Angriffe auf die „Systemkirche“. Auch sein Konflikt mit der örtlichen Kirchengemeinde, die eine Willkommenskultur praktiziert, ist nicht neu.

Video-Rundumschlag: Jüterboger Bürgermeister greift Kirchenvertreter an

2018 hatte die Kirchengemeinde aus Protest gegen das Stadtoberhaupt die Türme ihrer Kirche geschlossen, mit denen die Stadt für den Tourismus warb. Auch die Beziehung Raues zum Bischof ist seit längerem schwierig. Zum Stadtjubiläum 2024 weigerte sich der Bischof, dem Bürgermeister die sich im Kirchenbesitz befindliche Gründungsurkunde von Jüterbog direkt zu übergeben. Er wollte kein gemeinsames Foto mit dem bekennenden Trump-Anhänger und übergab die Urkunde dem Stadtvorsteher von der SPD. Das Video des Anstoßes, das Raue Silvester veröffentlichte, ist ein Rundumschlag gegen Flüchtlingspolitik, eine multikulturelle Gesellschaft und gegen Parteien im demokratischen Spektrum. Flüchtlinge, so Raue „haben in den letzten neun Jahren eure Kassen geplündert, eure Sozialkassen geplündert, eure Krankenkassen geplündert, eure Rentenkassen geplündert“. Arbeitende „Südländer“ sagen ihm allerdings auch nicht zu, er wettert gegen Dönerbuden, Barbershops, eine von Arabern betriebene Securityfirma und gegen ausländische Ärzte in Krankenhäusern.

Da passen die Verunglimpfungen gegen die Kirchenvertreter ins Bild. Ortspfarrer Tileman Wiarda habe „sich längst von seinem Job und von Nächstenliebe verabschiedet“, würde hetzen und spalten, heißt es in dem von Raue selbst als privat eingestuften Video. Der pensionierten Pfarrerin Mechthild Falk unterstellt Raue, sie würde Straftaten von Geflüchteten decken wie Fahren ohne Führerschein „bis hin zu mehrfachen sexuellen Übergriffen“.

Jüterboger Kirchengemeinde: Bürgermeister Raue lügt bewusst

Die Kirchengemeinde weist das zurück und forderte den Bürgermeister auf, sich bis zum 10. Januar, 12 Uhr bei den Pfarrpersonen zu entschuldigen und künftig solche wahrheitswidrigen Aussagen zu unterlassen. „Die Vorwürfe, die er erneut gegen Pfarrerin Falk ins Feld führt, hat er bereits vor Jahren einmal erhoben und anschließend vor Zeugen als unwahr zurückgenommen. Insofern handelt er hier als Wiederholungstäter im klaren Bewusstsein, dass er lügt“, heißt es in einer Erklärung der Kirchgemeinde. Bei den Vorwürfen gegen den aktiven Pfarrer Wiarda, die juristisch eine Meinungsäußerung sind, handle es sich, so die Kirchengemeinde, um eine Täter-Opfer-Umkehr. Die Hetze würde der Bürgermeister selbst betreiben. Auch der aus Jüterbog stammende SPD-Landtagsabgeordnete Erik Stohn fordert eine Entschuldigung des Bürgermeisters. „Guter Stil heißt, sich zu entschuldigen und haltlose Behauptungen zu widerrufen.“ Nach Angaben der Kirchengemeinde erfolgte eine Entschuldigung bis zu dem gesetzten Zeitpunkt nicht. Raue selbst sagt der Evangelischen Wochenzeitung „die Kirche“: „Ich halte schon den Gedanken, dass ich meine Aussagen zurücknehme, für völlig absurd.“ Ob er tatsächlich seinerzeit seine Vorwürfe gegen Mechthild Falk zurückgenommen hatte, lässt er offen. Die Landeskirche plant rechtliche Schritte gegen Raue und hat einen Anwalt eingeschaltet.

Arne Raues Video wird auf strafrechtliche Relevanz geprüft

Darüber hinaus teilte die Polizei dem rbb auf Nachfrage mit, dass der Inhalt des Youtube-Videos auf “strafrechtliche Relevanz” geprüft werde.. Das berichtet die Deutsche Presseagentur (dpa) unter Bezug auf das Polizeipräsidium Brandenburg West. Pfarrer Tileman Wiarda bestätigt der Tageszeitung „taz“, dass er von der Polizei deswegen zu einer Zeugenaussage eingeladen wurde. Seit Monaten führt Kornelia Wehlan (Die Linke), die Landrätin des Landkreises Teltow-Fläming und damit Dienstvorgesetzte von Raue, zudem ein noch nicht abgeschlossenes Disziplinarverfahren gegen ihn.

Lukas Pellio, Studentenpfarrer im brandenburgischen Kirchenkreis Cottbus und in der Vergangenheit selbst Opfer rechtsextremer An-griffe, hat eine Solidaritätsaktion für die beiden Pfarrpersonen initiiert. In einem Instagram-Video, das nach seinen Angaben bisher 50.000 mal aufgerufen wurde, forderte er Bürger auf, sich in Postkarten und E-Mails an die Betroffenen und den Verein „Gemeinsam mit Jüterbog“ zu solidarisieren. „Sie müssen wissen, dass sie nicht allein sind“, sagt Pellio.