Als ein junger Israeli vor wenigen Monaten auf seiner Facebook-Seite das Bild von preiswerten Schoko-Puddings für 19 Cent postete, um seinen Landsleuten das günstige Leben in Berlin schmackhaft zu machen, war die Aufregung in Israel groß. Kritiker bezeichneten Naor Narkis bisweilen als „Antizionisten“, weil er, so hieß es, mit den beigefügten Worten „Wir sehen uns in Berlin“ gewissermaßen einen Exodus von Israel nach Berlin fördere. Dabei wollte der 25-Jährige damit auf wirtschaftliche Probleme in seiner Heimat aufmerksam machen – und jungen Israelis neue Perspektiven in Deutschland aufzeigen.
Die Stadt Berlin ist in der Tat zum Hoffnungsträger für die deutsch-jüdischen Beziehungen geworden. Schließlich hat die Vernichtung von Millionen von Juden durch die Nationalsozialisten „eine tiefe Zerreißung im Deutschtum selbst“ hervorgebracht, wie es der jüdische Religionsphilosoph Martin Buber unter dem Eindruck des Zweiten Weltkriegs beschrieb.
Die sogenannte deutsch-jüdische Symbiose war mit dem Zivilisationsbruch Auschwitz unwiederbringlich zerstört. „Heute ist die Kontinuität des geistigen Werdens im Deutschtum abgeschnitten. Wenn sie einst wieder erneut wird, wird sie mit Notwendigkeit an jene Werte, die die Symbiose trugen, und an jene Werke, die aus ihr hervorgingen, anknüpfen. Aber die Symbiose selbst ist zu Ende und kann nicht wiederkommen“, schrieb Buber im Sammelband „Der Jude und sein Judentum“, der 1963 in Köln erschien. Zwei Jahre später, am 13. Juni 1965, starb er in Jerusalem.
Wege aus der jüdischen Identitätskrise
Der 1878 in Wien geborene Philosoph hatte sich recht spät, 1938, dazu entschlossen, ins damalige Palästina zu emigrieren. Buber, der in Wien, Berlin, Leipzig und Zürich studierte, stellte sich gegen einen politischen Zionismus, wie ihn Theodor Herzl (1860-1904) propagierte. Buber wollte den Juden anstatt einer „äußeren Heimat eine innere schaffen“, eine jüdische Renaissance, die dem Judentum in der Diaspora ein neues Gemeinschafts- und Heimatgefühl jenseits von Staatsgrenzen geben sollte.
Grundlage für dieses Anliegen bot Buber das Ostjudentum mit der chassidischen Mystik. Um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert sah sich das Judentum im aufgeklärten Westen einer Identitätskrise ausgesetzt, die mit einer Rückbesinnung auf das traditionelle Ostjudentum überwunden werden sollte. Wie viele jüdische Intellektuelle seiner Generation wollte Buber eine Verbindung zwischen Ost- und Westjudentum herstellen, eine Art Panjudaismus.
Bereits in seiner Kindheit, die er bei den Großeltern in Galizien verbracht hatte, war Martin Buber mit der chassidischen Mystik in Berührung gekommen. Nach Bubers Verständnis zeichnete sich der Chassidismus nicht durch eine asketische Abkehr von der Welt aus, sondern durch eine Art mystische Heiligung des Alltags. Er schrieb: „…größer als jedes Rätselwebe am Rande des Seins ist uns die zentrale Wirklichkeit der alltäglichen Erdenstunde, mit einem Streifen Sonne auf einem Ahornzweig und der Ahnung des ewigen Du.“
Aus diesem Grundverständnis einer allgegenwärtigen Beziehung zu Gott entwickelte Buber seine Dialogphilosophie, wonach alles Leben Begegnung ist. In seinem Hauptwerk „Ich und Du“ (1923) stellte er fest: Der Mensch steht zu den Mitmenschen in einer Ich-Du-Beziehung. Das Ich des Menschen entfalte sich erst im Dialog mit dem Du des anderen Menschen. Dieses Ich-Du-Verhältnis übertrug er auf Gott: „Man findet Gott nicht, wenn man in der Welt bleibt, man findet Gott nicht, wenn man aus der Welt geht. Wer mit dem ganzen Wesen zu seinem Du ausgeht und alles Weltwesen ihm zuträgt, findet ihn, den man nicht suchen kann.“ Gleichzeitig bestehe die Gefahr, den Mitmenschen und Gott zu verdinglichen oder zu instrumentalisieren, aus dem „Du“ ein „Es“ zu machen.
Bildungsziel: „Hebräischer Humanismus“
Bubers Dialogphilosophie fand auch ihren Niederschlag in seiner Pädagogik. Es ging ihm um eine von Vertrauen geprägte Beziehung zwischen Lehrer und Schüler. Letztes Bildungsziel war ein „Hebräischer Humanismus“, eine Rückbesinnung auf die sprachlich-kulturelle Überlieferung und die Werte des Judentums. Dieser Humanismus sollte über die jüdische Gemeinschaft hinauswirken und die Grundlage schaffen für ein friedliches Miteinander insbesondere von Juden und Arabern in Palästina.
Trotz des Bruchs der deutsch-jüdischen Symbiose im Zweiten Weltkrieg kündigte Buber seine Verbundenheit mit dem deutschen Volk und dessen Kultur nicht auf. In Jerusalem machte ihm die Abgeschnittenheit von Deutschland nach eigener Aussage bisweilen schwer zu schaffen. Ihn, der stets die „innere Heimat“ der territorialen vorgezogen hatte, würde es vielleicht freuen, sähe er junge Israelis nun wieder nach Deutschland ziehen. KNA