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Wieder mal die Alten

Über die Zukunft der jungen Generation entscheiden auch bei diesen Bundestagswahlen die Jungen nicht selbst. Das Wahlalter sollte auf 16 Jahre gesenkt werden. Ein Kommentar.

Von Uli Schulte Döinghaus

Wenn am Sonntag Nationalratswahlen in Österreich wären, dann würden dort auch 16- und 17-Jährige wählen. Sie könnten über Parlamentsmehrheiten und die nächste Regierung der Alpenrepublik mit­bestimmen. Sie würden dann über Klimawandel, Bildungs- und Rüstungspolitik befinden – drei von vielen Politikfeldern, die ihr erwachsenes Leben prägen werden. Oder Malta: Jugendliche ab 16 Jahren dürfen hier an landesweiten Wahlen teilnehmen und haben Einfluss auf die Zukunft der Insel – etwa in Flüchtlings- oder Europafragen.

Talkshow ja, Wahlkabine nein

In Deutschland bleibt jungen Menschen unter 18 die Möglichkeit verwehrt, über bundesweite Energie- und Arbeitsmarktfragen mit zu entscheiden, darüber, wie soziale Chancen hierzulande fair verteilt werden oder wie nationale Digitalstrategien funktionieren sollten. Das alles sind Politikfelder, die junge, nicht wahlberechtigte Menschen künftig mehr berühren als ihre wahlberechtigten Eltern und Großeltern heute. „Jugendliche sind von netzpolitischen Entscheidungen heute und in Zukunft am stärksten betroffen, von deren Herstellung aber weitgehend aus­geschlossen“, das kritisiert die Arbeitsgemeinschaft der Evange­lischen Jugend in Deutschland e. V. (aej) in einer aktuellen Erklärung zur Bundestagswahl. 

Wenn Jugendliche mit „Fridays for Future“ für eine lebenswerte Zukunft auf die Straße gehen, dann ist die Welt der Erwachsenen ergriffen und beeindruckt. Sie applaudieren ihnen, nicken hingerissen und öffnen ihnen die TV-Talkshows – aber nicht die Wahlkabinen zur Bundestagswahl. Sie dürfen und sollen die Stimme auf der Straße erheben. Aber Wahlzettel ausfüllen für die Bundestagswahlen am Sonntag, das dürfen sie nicht. „Ich bin unter anderem bei Fridays for Future, der Obdachlosenhilfe und „Wählen ab 16“ politisch aktiv. In Zukunfts­fragen wie der schwarzen Null, Rentenpolitik und Klimapolitik sind jüngere Generationen viel stärker betroffen. Ihnen eine Stimme zu geben, wäre im demokratischen Sinne“, so zitiert die Berliner Boulevardzeitung B.Z. die 17-Jährige Franziska Wessel. 

Flickenteppich Wahlrecht

Solche klugen Aussagen lassen konservative Mahnungen ins Leere laufen, wonach die Jugend noch nicht reif genug sei, über sich selbst zu entscheiden. Wie kann es bei so viel Unreife dann aber sein, dass 14-Jährige über ihre Religionszugehörigkeit bestimmen und 17-Jährige den Führerschein machen dürfen? Seltsam. 

Die Sache mit den „Wahlen ab 16“ wird noch seltsamer, wenn man sich das Wahlrecht in der Bundesrepublik Deutschland wie einen föderalen Wildwuchs vorstellt. „Heute sind die 16- und 17-jährigen in Bremen, Hamburg, Brandenburg und Schleswig-Holstein sowohl bei Kommunal- als auch bei Landtagswahlen aktiv wahlberechtigt; in Berlin, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Thüringen, Sachsen-Anhalt und Baden-Württemberg gilt bei Kommunalwahlen das Wahlalter 16.“ So beschreiben die Politikwissenschaftler Thorsten Faas und Anton Könnecke in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift „Aus Politik und Zeitgeschichte“ den „Flickenteppich“ der Wahllandschaft. „Der könnte sogar noch bunter werden“, vermuten Faas und Könnecke.

Manche 16- und 17-Jährige dürfen also über die Verkehrsberuhigung in ihrer Stadt mitbestimmen oder über die Landesgehälter in Pflege und Sozialwesen. Sie haben die Wahl, wenn es um mehr Polizisten geht – aber auf die Frage nach mehr oder weniger Soldaten dürfen sie nicht antworten. Neue Bahntrassen oder innovative Lebensmittelkennzeichnungen gehen sie ebenso wenig an wie die Zukunft „ihrer“ Dörfer oder das bundesweite Jugendstrafrecht. 

Für ein allgemeines Wahlrecht ab 16 spricht die Altersentwicklung in Deutschland: Wir werden immer älter. Der Anteil von Jugendlichen und jungen Erwachsenen nimmt ab. Folge: Wenn wir den Jungen das Wahlrecht absprechen, wird die Wirtschafts- und Sozialpolitik immer massiver von den Alten dominiert – die aber ihre Zukunft weithin hinter sich haben. 

Die EKBO ist Vorreiter

Die evangelische Kirche in Berlin, Brandenburg und der schlesischen Oberlausitz hat daraus längst Lehren gezogen: Wer mindestens 14 Jahre jung ist, darf den Gemeindekirchenrat (GKR) aktiv wählen, wer mindestens 16 Jahre ist, kann auch in den Gemeindekirchenrat passiv gewählt werden. So können die Jungen in ihren Kirchengemeinden zu „Ältesten“ werden.

Mehr zur Kampagne #wahlaltersenken unter: www.ljrberlin.de/kampagne-wahlalter16-aufgehtsberlin-wahlaltersenken