Professor und Kirchenmusiker Jochen Arnold komponiert Predigt, Liturgie und Vortrag. Und überlässt dabei nichts dem Zufall. Er ist der dritte und letzte Bischofskandidat für die EKBO
Von Sibylle Sterzik
Wieder ein Sonntagnachmittag in der Marienkirche. Zum letzten Mal. Rund 350 Besucher*innen nehmen an dem sonnigen Nachmittag lieber im kühlen Gotteshaus Platz, als sich auf einem lauschigen Plätzchen am Alex niederzulassen. Manche kamen schon das dritte Mal und von weit her. Weit weg auch der Altar in der mittelalterlichen Kirche, fern den Menschen im Kirchenschiff. Verwunderlich, dass hier noch kein Altartisch vorn an den Bänken Platz gefunden hat. Der den Eindruck geraderückt, die Liturgen zelebrierten auch ganz gut ohne die Gemeinde. Wohl komponiert, zugewandt und sinnlich fühlbar die Liturgie. Alltestamentliche Lesung aus Jesaja 55 in Leichter Sprache. Der Segen: Gottes Segen wirke wie Sonne, Regen, Schnee. Das Gebet: Früchte von Gottes Wort wollen wir sein. „Bwana awabariki“, ein Liedruf auf Swahili, Tansania, gesungen nach dem Predigttext. Ein syrisches Kyrie zwischen den Fürbitten, bearbeitet von Jochen Arnold.
Summend und singendDer Kirchenmusiker im Talar läuft auf der Kanzel zu Höchstform auf. Kein bisschen aufgeregt, eher vergnügt wie ein jugendlicher Musterschüler, der weiß, was er kann und alle selbstüberzeugt daran teilhaben lässt. Predigt ohne Aussetzer, Sologesang ohne Wackler, souverän über den Köpfen von der Kanzel der Liedvers. Erst summend, dann singend: „Siehe, ich bin bei euch alle Tage …“ Und meint natürlich nicht sich selbst, sondern Gott, den Schöpfer, in dessen Namen Paulus soeben die Edle-Stoffe-Händlerin Lydia, die erste europäische Christin, im Predigttext tauft. Ein voller Chor singt von unten nach oben überrascht-begeistert mit. Mancher aber auch nicht, der lieber die Predigt hören will statt zu singen oder sich gegen das Dirigiert werden sträubt. Durchkomponiert die Predigt. Das Motto: „Mit dem Evangelium Grenzen überwinden“. Louis Hams, Erweckungsprediger und Gründer der Hermannsburger Mission in der Lüneburger Heide, bringt per Schiff das Evangelium nach Äthiopien. Folgt einem Ruf, wie Paulus mit seiner Überfahrt nach Europa, wie Jochen Arnold dem des Bischofswahlkollegiums. „Deshalb stehe ich heute hier. Warum sind Sie heute hier? Und was ist unser Ruf als Kirche in Brandenburg und der Oberlausitz, in Berlin? Mitten in Europa, in dem die Angst umgeht? Vor dem Anderen, dem Fremden. Die Angst, nicht gesehen zu werden, zu verlieren, am Ende des Tages leer auszugehen?“ Von Paulus auf dem Mittelmeer wandert der Blick weiter auf die überfüllten Schlepperboote mit den Flüchtlingen auf dem Weg nach Europa. Sie rufen: Schaut her, seht nicht weg. Helft uns. Jochen Arnold, dessen Familie selbst einen afghanischen Jungen aufnahm, weiß, wovon er redet. Und singt allein und dann mit allen gegen die Angst. Die Flüchtlinge seien es, so Arnold, die das Evangelium wieder neu nach Europa bringen. „Aber erfrischend anders. Christen und Christinnen aus Afrika und Lateinamerika, aus Asien und Ozeanien überraschen uns mit der frohen Botschaft in neuer Gestalt. Bringen ihre Geschichten und Lieder mit. Den Sound der Freiheit und den Groove der Hoffnung, der in die Beine und den Bauch, in die Köpfe und zu Herzen geht.“Immer weiter geht es in dem komponierten Dreiklang. Biblische Geschichte, Paulus auf dem Weg zu Lydia, der Blick von damals ins Heute, wo Grenzen überwunden werden. Vom Markt in den Städten Mazedoniens auf den Untermarkt in Görlitz, den Gendarmenmarkt in Berlin oder dem Marktplatz in Schenkenberg. Fasziniert sei er von der kulturellen und spirituellen Vielfalt dieser Landeskirche und ihren Aufbrüchen. Er sehe aber auch viel Not. Diese mit der Haltung der Liebe wahrzunehmen, sei ihm wichtig: die Wohnungsnot in Berlin, die Ängste in den Braunkohleregionen in der Oberlausitz. „Kann man die eigene Existenz dem Klima zuliebe aufs Spiel setzen?“ fragt er und räumt ein, keine schnelle Antwort darauf zu haben, wolle aber, „dass wir Entscheidungsräume weiten“. Aber wer ist eigentlich: Wir? „Das Evangelium hat Kraft – für die Gestaltung einer gerechteren Welt.“ Den Vortrag vorwegnehmend, aus dem Predigtmodus fallend schließt Jochen Arnold von Paulus, der kulturelle Grenzen auf seiner Missionsfahrt überwindet, auf sich: „Eine Herausforderung auch für mich: Den Schwaben ein Schwabe. Geht. Den Niedersachsen ein Niedersachse, schon schwieriger. Wir Schwaben können bekanntlich ja manches, nur nicht Hochdeutsch. Und jetzt den Lausitzern, Brandenburgerinnen, Berlinern, ein Geistlicher?“Der erste Christenmensch in Europa ist eine Frau, betont Jochen Arnold, spielt die Karte aber nicht aus. Ein Wort zu den Frauen, die Kirche bis heute leben, ohne die sie nicht wäre, was sie ist, bleibt aus. Lydia nötigt die Männer an ihren Tisch. „Gastfreundschaft ist Markenzeichen einer jungen, aufbrechenden Kirche“, so Arnold und erzählt von der ökumenischen Festtafel im Juni in Hildesheim, 300 Meter lang von der evangelischen Michaeliskirche zum katholischen Dom. Sie könnte auch in der EKBO stehen.Das House of One in Berlin findet Platz in der Predigt. Das freut sicher den Co-Liturgen Gregor Hohberg, der die Idee dazu hatte. „Einander unter einem Dach begegnen. Nebeinander beten, auch in schweren Zeiten. Gemeinsam Zeichen des Friedens setzen – so wie kürzlich auf der von Muslimen initiierten Konferenz der menschlichen Brüderlichkeit in Abu Dhabi.“ Hier treffen sich die Brüder nicht nur zufällig wie an diesem Nachmittag in der Marienkirche. Ein Handout zum Vortrag „Erkennbar Kirche sein“ gab es zuvor noch nicht. Die Punkte Null bis Fünf lassen ahnen, was kommt. Nach den vorgegebenen 20 Minuten rutscht die Präses Sigrun Neuwerth sichtlich nervös auf der Bank hin und her. Arnold ist aufmerksam genug, es zu bemerken, tritt auf die Bremse, redet schneller, die gute Hälfte ist geschafft. Am Ende geht er Staccato durch bis zum „Traum von Kirche“: die farbig ist, mutig glaubt, kreativ bezeugt und eine Hoffnung für die Zukunft hat. Von einladenden Räumen spricht er, davon menschenfreundliche Orte zu öffnen und in der Welt präsent zu sein. Mitmach-Events brauche die die Kirche, besonders für Kinder. Aber auch für alte Menschen und Familien. Mobile Kältebusse wie die der Stadtmission aber auch virtuelle Räume wie Twittergottesdienste oder Apps mit geistlichen Impulsen machten Kirche erkennbar. Für „sprechende Symbole“ plädiert er. Eine selbstgebaute Krippe auf dem Alexanderplatz, Kreuze als Symbol dafür, das Kirche dort ist, wo Menschen leiden. Osterfeuer als Zeichen für Christus, der Menschen aus dem Tod ins Licht holt. Klare Botschaften durch sinnliche Verkündigung und gute Gottesdienste, die sich den existentiellen Fragen des Lebens stellen. Traditionell, aber auch modern als Poetry-Gottesdienst. „Davon brauchen wir in der EKBO noch mehr als bisher.“ Überzeugende Taten seien wichtig, etwa in Diakonie, Inklusion, Bildung und Mission. Kirche sei erkennbar, so Arnold, wo sie über sich hinausweise und wachrüttele, unbequeme Fragen stelle.
Die Wahl wird spannendBesucherinnen und Besucher stehen nach dem lang anhaltenden Beifall noch im Kirchenschiff. Die einen überrascht und angetan von dem Kandidaten, den sie gar nicht so auf dem Schirm hatten. „Der macht was her“, war da zu hören und „Das hat er richtig gut gemacht“. Daneben andere Stimmen: „Die Predigt zu flach“ oder „viel zu lang, zu viel angesprochen, um kein Thema zu vergessen und jedem etwas zu bieten“. Unter Vita auf seiner Hompage macht er keinen Hehl daraus, wie stolz er auf den Ruf aus Berlin ist. Da steht als (vorläufig) letzter Punkt: „2018: Nominierung zum Kandidaten für das Bischofsamt der EKBO, Nachfolge Dr. Markus Dröge.“ Neben Arnold bewerben sich um das Bischofsamt Propst Christian Stäblein (51) und die hessische Theologin und Senderbeauftragte der evangelischen Kirchen beim Hessischen Rundfunk, Heidrun Dörken (56). Das Kirchenparlament entscheidet am 5./6. April in Berlin. Bleibt abzuwarten, welcher Eintrag von Jochen Arnold am 6. April folgt.
Der Vorstellungsgottesdienst von Jochen Arnold ist auch online nachzusehen unter www.ekbo.de/bischofswahl