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OVG will Entscheidung im AfD-Verfahren verkünden

In dem seit Jahren schwelenden Rechtsstreit zwischen dem Verfassungsschutz und der AfD richtet sich am Montag alle Aufmerksamkeit auf Münster: An diesem Tag will das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG) sein Urteil verkünden. Es geht um die Frage, ob das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) die gesamte AfD zu Recht als rechtsextremistischen Verdachtsfall eingestuft hat.

Für eine Einstufung als Verdachtsfall gelte zwar ein anderer Maßstab als für ein Parteiverbot, sagte der Münsteraner Verfassungsrechtler Fabian Wittreck dem Evangelischen Pressedienst (epd). Jede einzelne gerichtliche Entscheidung, etwa über die Einstufung als Verdachtsfall oder eine mögliche Verurteilung von AfD-Funktionär Björn Höcke wegen Volksverhetzung, sei jedoch „ein Mosaikstein in einem Gesamtbild, über das am Ende das Bundesverfassungsgericht zu beurteilen haben wird“, erwartet der Experte.

Als Verdachtsfall darf die Rechtsaußen-Partei mit nachrichtendienstlichen Mitteln beobachtet werden. Außerdem kann sie im jährlichen Verfassungsschutzbericht auftauchen. Das BfV hatte die rechtspopulistische AfD 2021 als „extremistischen Verdachtsfall“ eingestuft, dagegen klagte die AfD. Das Verwaltungsgericht Köln bestätigte diese Einstufung jedoch im März 2022 als rechtmäßig. Gegen diesen Gerichtsentscheid klagte die AfD erneut und es folgte das Verfahren vor dem OVG in Münster, das am Montag mit einem Urteilsspruch enden soll.

Für die Verhandlung vor dem obersten NRW-Verwaltungsgericht waren zunächst zwei Tage Mitte März eingeplant, die Richter mussten aber weitere Termine ansetzen: Die AfD-Anwälte hatten das Verfahren durch zahlreiche Anträge und zusätzliche Zeugenanhörungen in die Länge gezogen. Die mündliche Verhandlung wurde dann ab dem 11. April an fünf Tagen fortgesetzt. Zuvor reichte die Partei mehrere hundert Beweisanträge mit Anlagen sowie mehrere hundert Stunden Videomaterial ein.

Mit dieser Verteidigungsstrategie habe sich die AfD keinen großen Gefallen getan, meint Verfassungsrechtler Wittreck. Das Vorgehen der Anwälte mit zahlreichen Befangenheits- und Beweisanträgen sei an Verwaltungsgerichten unüblich. „Da haben sich die Richter nicht angemessen behandelt gefühlt“, sagte der Jurist, der an der Universität Münster lehrt. Wenn man als Rechtsbeistand Spielraum für Kompromisse suche, handele man anders vor Gericht.

In dem Berufungsverfahren wird nicht nur entschieden, ob der Verfassungsschutz die gesamte AfD zu Recht als rechtsextremistischen Verdachtsfall eingestuft hat. Es geht auch um die Einstufung des sogenannten Flügels der AfD als Verdachtsfall und als „gesichert extremistische Bestrebung“ sowie um die Einordnung der Jugendorganisation „Junge Alternative“ als Verdachtsfall. (AZ: 5 A 1218/22, 5 A 1217/22 und 5 A 1216/22)

Der Verfassungsschutz hatte Belege und Äußerungen von mehreren hundert AfD-Mitgliedern in das Verfahren eingebracht. Nach Auffassung des BfV-Anwalts Wolfgang Roth stellt der Volksbegriff der AfD ein ethnisch definiertes deutsches Volk über andere Ethnien. Die Partei wolle Migrationsströme umkehren und verwende für diese Vertreibung von Migranten aus Deutschland den Begriff „Remigration“. Der Islam werde zudem als „terroristische Vereinigung“ bezeichnet.

Die AfD hatte dagegen auf ihr Parteiprogramm verwiesen: Es werde nichts beschlossen, das gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung verstoße. Den Vorwurf der Islamfeindlichkeit wies die AfD ebenfalls mit Hinweis auf ihr Programm zurück.

Wittreck hält eine Bestätigung der Entscheidung des Verwaltungsgerichts Köln für sehr wahrscheinlich. Dann bliebe der AfD nur die Revision vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig. Dort würde jedoch lediglich das Verfahren auf Fehler geprüft.

Die Einstufung als rechtsextremer Verdachtsfall könnte nach Einschätzung des Bielefelder Extremismusforschers Andreas Zick diejenigen AfD-Anhänger abschrecken, „die die Hoffnung hatten, dass die Partei rechtskonservativ oder eine Protestpartei ist“. Für AfD-Anhänger, die rechtsextreme völkisch-autoritäre Ideen vertreten, treffe das jedoch nicht zu.

Unabhängig von dem Verfahren vor dem OVG Münster bereitet sich der Verfassungsschutz nach Einschätzung Wittrecks auf die nächste Stufe vor: eine Einstufung der Gesamtpartei als gesichert extremistisch. Das hätte dann auch negative finanzielle Folgen für die Erasmusstiftung der AfD, die für die Partei wichtiger sei als die staatliche Parteienfinanzierung, sagte Wittreck. „Das tut dann richtig weh.“