Durch das vorzeitige Ampel-Aus können voraussichtlich eine ganze Reihe von Gesetzesinitiativen vorerst nicht umgesetzt werden. Ein Überblick über einige wichtige offene Vorhaben und ihre Chancen.
Die Ampelkoalition hatte noch eine Reihe von Vorhaben auf dem Zettel, deren Umsetzung jetzt fraglich geworden ist. Manche Gesetzesinitiative war im parlamentarischen Verfahren eigentlich schon recht weit. In den nächsten Tage wird sichtbar werden, ob der Bundestag noch kurzfristig darüber entscheidet. Die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) gibt einen Überblick über wichtige offene Vorhaben:
Die Umsetzung des neuen Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) nannte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in seinem Statement nach dem Ampel-Aus als eines der noch dringlichsten Vorhaben. Deutschland will schnell vorangehen, um andere europäische Länder zu motivieren, die neuen EU-Regeln ebenfalls zügig umzusetzen. Zwingend ist das allerdings nicht, da für die Umsetzung der Mitte Mai beschlossenen Regeln eigentlich zwei Jahre Zeit sind – also bis Mitte 2026. Die Union könnte aber ein Interesse daran haben, da sie selbst oft genug auf eine schärfere Gangart in der Migrationspolitik gedrungen hat. Bislang gibt es einen Kabinettsbeschluss dazu.
Die Kindergrundsicherung hängt schon länger im parlamentarischen Verfahren fest. Ursprünglich sollte sie die größte Sozialreform der Koalition sein und Unterstützungen für Kinder bündeln und einfacher abrufbar machen. Weil dafür aber nach Angaben des Familienministeriums mehrere tausend neue Verwaltungsstellen hätten geschaffen werden müssen, wuchs die Zahl der Kritiker. Im Haushaltsentwurf hieß es zuletzt, dass es zumindest ein Entlastungspaket für Familien geben solle: Kinderfreibetrag, Kindergeld und Kindersofortzuschlag sollten angehoben werden. Doch ob der Haushalt jetzt überhaupt noch beschlossen wird, gilt als höchst fraglich.
Ziel dieses Gesetzentwurfs der Bundesregierung ist ein besserer Schutz von Kindern vor sexualisierter Gewalt. Zudem soll die Aufarbeitung von Missbrauch verbessert werden. Auch soll das Amt der Missbrauchsbeauftragten dauerhaft gesichert und aufgewertet werden. Da die Union den Gesetzentwurf grundsätzlich befürwortet und die Erste Lesung im Bundestag bereits stattgefunden hat, gehört er zu den Vorhaben, die noch eine Chance haben, verabschiedet zu werden.
Das sogenannte Rentenpaket II, vom Kabinett im Mai verabschiedet, möchte der Bundeskanzler unbedingt noch “durchbekommen”. Es ist aber mehr als fraglich, denn nicht nur die Union sieht das Projekt kritisch, auch die FDP war nie ganz glücklich damit und positionierte sich zuletzt dagegen. Laut Gesetzentwurf soll das Rentenniveau stabil und bis 2040 bei 48 Prozent liegen. Zur Finanzierung ist eine Erhöhung für die Beitragszahler notwendig. Zudem soll danach eine Aktienrente eingeführt werden.
Die Ampel wollte die Regelungen zu Abtreibung, Eizellspende und Leihmutterschaft prüfen und berief dazu eine Kommission, die im Frühjahr ihre Empfehlungen präsentierte. Besonders detailliert waren die Vorschläge des Gremiums bei der Abtreibungsregelung. Eine Abtreibung ist derzeit grundsätzlich rechtswidrig. Sie bleibt jedoch straffrei, wenn sie in den ersten zwölf Wochen vorgenommen wird. Die Kommission sprach sich für eine Liberalisierung und eine Streichung des Paragrafen 218 im Strafgesetzbuch aus. Derzeit gibt es im Parlament eine interfraktionelle Gruppe, die das Vorhaben vorantreibt und zumindest die Abtreibung bis zur zwölften Woche legalisieren will. Es hat aber keine realistische Chance, noch auf die Bundestags-Agenda zu kommen. Dies gilt auch für eine Reform der Eizellspende und der Leihmutterschaft, für die die Kommission ebenfalls eine Liberalisierung vorschlug.
Angesichts der niedrigen Organspendezahlen in Deutschland gibt es einen interfraktionellen Antrag, von der derzeitigen Zustimmungslösung zu einer Widerspruchslösung zu wechseln. Bedeutet: Jeder wäre Spender, außer er lehnt es ausdrücklich ab. Die Kritiker sind hier jedoch laut. Eventuell gibt es daher einen ebenfalls interfraktionellen Gegenantrag. Dann wäre das Thema durchaus noch etwas für den Bundestag. Und auch bei der Beihilfe zum Suizid ist ein Vorstoß mehrerer Abgeordneter verschiedener Fraktionen auch ohne Regierung nicht ausgeschlossen.
Die Krankenhausreform ist das umstrittenste Großprojekt von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD). So soll die Zahl von derzeit 1.900 Klinikstandorten deutlich reduziert werden – bei höherer Qualität und besserer Finanzierung. Dazu ist ein Transformationsfonds von 50 Milliarden Euro geplant, finanziert von Bund und Ländern. Das Gesetz ist im Bundestag beschlossen, aber der Bundesrat könnte am 22. November noch den Vermittlungsausschuss anrufen und das Ganze damit auf Eis legen. Ob die dafür nötige Mehrheit unter den Ländern zusammenkommt, ist aber aktuell offen.
In der Pflege steht es Spitz auf Knopf: Der Pflegeversicherung geht – trotz der jüngsten Beitragserhöhung – in rasantem Tempo das Geld aus. Ab Januar soll daher der Beitragssatz erneut um 0,2 Prozentpunkte steigen, wenn der Bundesrat sich nicht querstellt. Derweil steigt die Zahl der Pflegebedürftigen kontinuierlich und das Pflegepersonal wird weniger. Das Pflegekompetenzgesetz, das Pflegekräften mehr Befugnisse geben soll, hat es aber nicht einmal mehr bis ins Kabinett geschafft.
Die Kirchen erhalten jährlich insgesamt rund 600 Millionen Euro von den Bundesländern als Entschädigung für widerrechtliche Enteignungen und Verstaatlichung von Kirchenbesitz vor 200 Jahren. Die Ampel trieb das Projekt voran, die Staatsleistungen abzulösen, und legte einen Entwurf vor, um Rahmenbedingungen dafür zu schaffen: das Grundsätzegesetz. Während die Kirchen dem offen gegenüberstehen, sind zahlreiche Bundesländer dagegen, unter anderem, weil sie hohe Ablösesummen in Milliardenhöhe zahlen müssten. Außerdem könnten die Kirchen nach einem Wegfall viele Sozial- und Bildungseinrichtungen nicht mehr finanzieren. Das Vorhaben hat auch deshalb keine Chance auf Umsetzung.