Mit den Wörtern des Jahres lässt sich eine Geschichte der Bundesrepublik erzählen. Auf “Krisenmodus” im Jahr 2023 folgt “Ampel-Aus”. Auch “Klimaschönfärberei” und “kriegstüchtig” haben es ganz nach oben geschafft.
Ein Symbol macht Karriere. Die Regierungskoalition aus SPD, FDP und Grünen hat für Wortschöpfungen wie Ampel-Irrsinn, Ampel-Zoff oder Hampel-Ampel gesorgt. Schon seit 1991 kennt der Duden den Begriff Ampel-Koalition – weil damals in Brandenburg und Bremen erstmals solche Landesregierungen gebildet wurden.
Jetzt, nachdem die Berliner Koalition geplatzt ist, ist der Begriff “Ampel-Aus” zum Wort des Jahres 2024 gekürt worden. Dass Kanzler Olaf Scholz (SPD) seinen Finanzminister Christian Lindner (FDP) am 6. November vor die Tür setzte, habe für einen Paukenschlag gesorgt, der auch das Ergebnis der US-Wahlen übertönt habe, teilte die Gesellschaft für deutsche Sprache am Freitag zur Begründung in Wiesbaden mit.
Die Politik im Krisenmodus – der Begriff war passenderweise das Wort des Jahres 2023. Das Wortbildungsmuster beim Ampel-Aus ist dabei keineswegs neu: Ehe-Aus, Beziehungs-Aus, Liebes-Aus kommen in der Regenbogenpresse häufiger vor. “Jamaika-Aus” war das Wort des Jahres 2017. Damals hatte FDP-Chef Christian Lindner die schwarz-gelb-grünen Koalitionsverhandlungen mit dem Satz “Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren” platzen lassen.
Auf Platz zwei der beliebten Rangliste setzte die Jury den Begriff “Klimaschönfärberei”. Er steht für die Praxis, die Auswirkungen des Klimawandels zu beschönigen oder zu verharmlosen. “Unternehmen oder Organisationen versuchen dabei in einer Art von Greenwashing, sich umweltfreundlicher darzustellen, als sie tatsächlich sind”, erläutert die Gesellschaft für deutsche Sprache.
Auf Platz drei folgt “kriegstüchtig”. “Wir müssen kriegstüchtig werden – wir müssen wehrhaft sein und die Bundeswehr und die Gesellschaft dafür aufstellen”, erläuterte Verteidigungsminister Boris Pistorius am 29. Oktober 2023 seine Version der Zeitenwende nach dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine. 2022 hatte der Inspekteur des Heeres, Alfons Mais, erklärt, die deutschen Landstreitkräfte stünden “mehr oder weniger blank”.
Gemeint ist, dass Deutschland und Europa in der Lage sein sollten, einen russischen Angriff auf das Nato-Gebiet abzuwehren. Seit dem Ende des Kalten Krieges hatte der militärische Begriff “Kriegstüchtigkeit” in Deutschland kaum noch eine Rolle gespielt. Eher stand die Hoffnung auf eine Friedensdividende im Vordergrund, selbst, als die Bundeswehr vermehrt zu Auslandseinsätzen ausrückte. Begeisterung hat Pistorius mit seiner Wortwahl nicht ausgelöst: Kritiker werfen ihm vor, Panikmache zu betreiben und die Gesellschaft militarisieren zu wollen.
Seit 1971 und regelmäßig seit 1977 kürt die Gesellschaft für deutschen Sprache Wörter und Wendungen, die das politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben eines Jahres sprachlich bestimmt haben. Ein “Wort des Jahres” zu benennen, hat mittlerweile auch in anderen Sprachen und Ländern Tradition.
Das Wort 2024 im Oxford-Wörterbuch lautet “brain rot”. Übersetzen lässt es sich mit Gehirnfäule und meint den Zustand nach dem Konsum von zu vielen unwichtigen Internet-Inhalten. Nach Angaben der Oxford University Press, die das renommierte Oxford-Wörterbuch herausgibt, hat der Begriff 2024 eine Wiedergeburt erfahren: Die Verwendungshäufigkeit stieg im Vergleich zum Vorjahr um 230 Prozent.
In der Schweiz hat es “Unterschriften-Bschiss” auf Platz eins geschafft. Laut der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften zeigt das Wort das “angeknackste Vertrauen” in das Schweizer Abstimmungssystem. Kommerzielle Unterschriftensammler hätten im großen Stil Unterschriften und Identitäten auf den Sammelbögen von Initiativen gefälscht. In der Französisch sprechenden Schweiz wurde “cessez-le-feu” – Waffenruhe – zum Top-Wort gewählt.
Österreich hat sich unterdessen für “Renaturierung” entschieden, wie die Gesellschaft für Österreichisches Deutsch in Graz kürzlich bekanntgab. Dabei handele es sich um ein politisch stark aufgeladenes Wort; Umweltschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne) habe entscheidend dazu beigetragen, dass das Renaturierungsgesetz der EU verabschiedet worden sei – gegen den Willen von Bundeskanzler Karl Nehammer und somit dem Koalitionspartner ÖVP.