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“Fastenpolizei” in der Schule – Wo endet Religionsfreiheit?

Zuckerfest, Ostern, Chanukka – viele Schulen feiern gemeinsam unterschiedliche religiöse Feste. Doch manche Bräuche sorgen für Kontroversen. Ein Berliner Bürgermeister fordert mehr Hilfe.

Berlin-Neuköllns Bürgermeister Martin Hikel (SPD) - selbst ehemaliger Lehrer -  fordert zum Ramadan mehr Unterstützung für Lehrer
Berlin-Neuköllns Bürgermeister Martin Hikel (SPD) - selbst ehemaliger Lehrer - fordert zum Ramadan mehr Unterstützung für LehrerImago / Funke Foto Services

Ein Berliner Lehrer schildert seinen Schulalltag mit Blick auf religiöse Konflikte so: “Wenn dann Fastenzeiten kommen, biete ich auch Klassenrat an. Ich frage nach, wer fastet und wer Aleviten sind. Ich weiß, wer Aleviten sind. Die trauen sich aber nicht, sich zu melden – oder sie melden sich und sagen, sie fasten, obwohl ich weiß, dass sie nicht fasten.”

Ein anderer sagt: “Und dann will man Israel aus dem Atlas rausschneiden und übermalen. Das kommt immer mal wieder vor. Dabei wissen sie nicht einmal, was Israel ist. Aber das kommt von zu Hause … da gibt es ja hunderte arabische Fernsehsender, die nicht mit ARD und ZDF vergleichbar sind.”

Religiöse Konflikte an Schulen: Forderung nach Fachstelle

Es sind Aussagen wie diese, die Berlin-Neuköllns Bürgermeister Martin Hikel (SPD) – selbst ehemaliger Lehrer – deutlich werden lassen: Nach seiner Einschätzung werden Lehrer und Lehrerinnen an Schulen mit solchen Problemen allein gelassen. “Viele fühlen sich in solchen Situationen überfordert. Sie sind abgeschreckt, darauf überhaupt zu reagieren, weil sie sich damit dem Vorwurf aussetzen, rassistisch oder religionsdiskriminierend zu sein”, erklärte Hikel der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). “Man muss aber mit Schülern darüber sprechen und eine Haltung vertreten.”

So seien antisemitische Äußerungen von Schülern nach dem 7. Oktober 2023, dem Angriff der islamistischen Hamas auf Israel und dem anschließenden Gaza-Krieg, “virulenter geworden”. Hier gebe es ebenso eine Vermeidungshaltung von Lehrern, diese Konflikte anzusprechen, um sie nicht weiter zu forcieren, so Hikel.

Er fordert die Einrichtung einer Clearingstelle, die sich mit solchen Konflikten an Schulen befasst. Die von ihm vor vier Jahren angeregte Anlauf- und Dokumentationsstelle für konfrontative Religionsbekundung war an der Finanzierung durch die damalige Senatsverwaltung gescheitert, nachdem öffentlich Kritik daran laut geworden war: Muslime würden durch eine solche Stelle stigmatisiert.

Neun von zehn Schulen betroffen

Grundlage für die Idee einer derartigen Einrichtung war damals eine Erhebung an zehn Neuköllner Schulen. Der Verein für Demokratie und Vielfalt in Schule und beruflicher Bildung (DeVi), der auch Präventionsprojekte gegen Rechtsextremismus umsetzt, führte die zweimonatige Untersuchung durch. In der Bestandsaufnahme, bei der Pädagogen befragt wurden, berichteten neun von zehn Schulen von entsprechenden Vorfällen.

“Das Problem gibt es nach wie vor an zahlreichen Schulen in meinem Bezirk – und es wird immer größer”, sagt Hikel. “Die Schülerschaft ist an den betroffenen Schulen sehr homogen, das heißt, viele sind strenggläubige Muslime. Es ist zwingend notwendig, diese Homogenität und die damit einhergehenden Konflikte aufzubrechen.”

Die Kinder an den entsprechenden Schulen im Bezirk kommen laut DeVi-Untersuchung zu mehr als 90 Prozent aus Familien mit nichtdeutscher Herkunftssprache, meist muslimisch, darunter ein starker Anteil arabischer Herkunft. Ihre Familien leben demnach zu einem sehr hohen Prozentsatz von Transferleistungsbezug. “Unsere Kinder werden fast nur durch uns in die Welt geführt. Sie kennen außerhalb des Kiezes nichts”, sagt etwa eine Lehrerin in dem Bericht. “Wenn ich in einer Klasse den Berlin-Rundgang mache, wenn dann zwei Kinder schon am Brandenburger Tor waren, ist das viel.”

Der Glauben steht meist nicht im Vordergrund

Religiöse Konflikte gebe es vor allem an sogenannten Brennpunktschulen in Metropolen wie Berlin, Frankfurt oder Köln, bestätigt der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, Stefan Düll. Schwierigkeiten könnten sich vor allem für Muslime ergeben, die nicht sehr religiös seien. “Da muss die Schule gegenhalten.”

Nicht immer seien die Konflikte seiner Einschätzung nach religiös begründet. Oftmals gehe es “um eine Machtdemonstration”, findet Düll. Und Hikel sagt: “Natürlich spielt auch Pubertätsgehabe eine Rolle.”

Berlin-Neuköllns Bürgermeister: Schulischer Erfolg darf unter Fasten nicht leiden

Der Bürgermeister betont auch, dass er grundsätzlich im religiösen Fasten von Schülern kein Problem sehe, so lange niemand unter Druck gesetzt werde und der schulische Erfolg nicht leide: “In Prüfungssituationen muss die notwendige Energiezufuhr sichergestellt werden, damit die Schüler leistungsfähig bleiben.” Strenggläubige Muslime ließen hier aber seltener Ausnahmen gelten. Die Moscheen im Kiez seien dabei “nicht die konstruktivsten”.

Auch Düll wünscht sich, dass Imame klarer sagen würden, wer fasten müsse und wer nicht: Für Kinder, auf Reisen oder bei anstrengender Arbeit – zu der ja durchaus auch der Schulunterricht zählen könne – sei dies zum Beispiel laut Koran gar nicht vorgeschrieben.

An seiner Schule in Bayern gibt es jetzt zum Ende des Ramadan ein – die muslimischen Schüler laden die nichtmuslimischen Schüler zum so genannten Fastenbrechen ein. Schulleiter Düll ist erkennbar stolz auf die Aktion. Er sagt: “Im Fach Ethik besprechen wir zum Beispiel die Feste von allen großen Religionen. Und auch die religiösen Praktiken wie zum Beispiel das Fasten zu Ramadan. Das ist eine gute Prophylaxe gegen Konflikte.” Klar müsse aber sein, so Hikel und Düll: Auch die Teilnahme an solchen Festen müsse freiwillig sein.

Info: Termin: 30. März (Beginn des Fastenbrechens)