Der Osnabrücker Radikalisierungsexperte Michael Kiefer rät angesichts sich häufender Meldungen über extremistische Einstellungen bei Schülern dazu, klare Grenzen zu setzen und Straftaten konsequent zu ahnden. „Wenn Jugendliche den Hitlergruß zeigen oder Wände mit Hakenkreuzen beschmieren, sollten sie angezeigt werden“, sagte Kiefer in einem Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Viele Heranwachsende wollten mit rassistischen, antisemitischen oder antimuslimischen Aussagen vor allem provozieren. „Das heißt aber auch, dass sie indirekt nach Grenzen verlangen, die wir ihnen aufzeigen müssen.“
In der Entwicklungspsychologie werde davon ausgegangen, dass provokative Einstellungen häufig vorübergehender Natur seien und sich mit zunehmendem Alter quasi herauswüchsen. „Aber wir dürfen nicht den Fehler machen, die Jugendlichen sich selbst zu überlassen und glauben, das Thema erledige sich vor selbst.“ Diese Jugendlichen seien durchaus offen für eine Radikalisierung, warnte der Professor für „Soziale Arbeit in der Migrationsgesellschaft“ an der Universität Osnabrück.
Islamisten und Rechtsextreme nutzten soziale Medien wie TikTok, um Jugendliche anzusprechen und von ihrer Ideologie zu überzeugen. Die weltpolitische Lage verschärfe die Situation, betonte Kiefer, der auch Projekte zur Radikalisierungsprävention begleitet. Der Gazakrieg habe zu deutlich mehr Antisemitismus in der gesamten deutschen Gesellschaft geführt. Einige hier lebende Muslime hätten zudem Angehörige im Gazakrieg verloren: „Die sind gerade richtig unter Dampf.“
Die restriktive Haltung gegenüber Migranten in Politik und Gesellschaft und die gestiegene Zahl von Straftaten gegen Muslime sei für Islamisten ein gefundenes Fressen, erläuterte der Islam-Experte: „Sie ködern junge Muslime, indem sie ihnen sagen, die deutsche Mehrheitsgesellschaft wolle sie nicht und sie hätten in Deutschland ohnehin keine Chance.“ Viele junge Menschen seien zudem durch den Ukrainekrieg und zuvor die Corona-Krise belastet.
Besonders für die Schulen sei die Situation schwierig. Weil neben Lehrkräften vor allem Sozialarbeiter fehlten, könnten sie kaum gegensteuern. Kiefer rät Lehrkräften dennoch, bei Provokationen etwa im Unterricht direkt zu intervenieren. Allerdings sei es besser, die betreffenden Schüler zu einem Einzelgespräch etwa in der Pause zu bitten als etwa in eine kontroverse Diskussion im Klassenverband einzusteigen. Ferner sollten alle Fachkräfte einer Schule einander unterstützen und nicht als Einzelkämpfer auftreten.
Auch straffällig gewordene Jugendliche sollten laut Kiefer nicht der Schule verwiesen werden: „Wir müssen mit diesen jungen Menschen arbeiten. Sie sollten einen Bildungsabschluss erreichen, damit wir sie nicht ganz verlieren.“ Wichtig seien in jedem Fall Fortbildungen für alle Lehrkräfte. Der Umgang mit radikalem Gedankengut sollte zudem regulärer Teil der Lehrerausbildung werden.