Die Schweriner Bahnhofsmission wird am (morgigen) 4. September zehn Jahre alt. Zuvor beantwortete Marie-Claire Heuer (33) dem Evangelischen Pressedienst (epd) Fragen zu diesem niedrigschwelligen, kirchlich-diakonischen Angebot. Heuer ist seit 2020 als Bereichsleiterin bei der „Sozial-Diakonische Arbeit – Evangelische Jugend“ zuständig für die beiden einzigen Bahnhofsmissionen in Mecklenburg-Vorpommern, die in Schwerin und die in Ludwigslust (gegründet 2022).
epd: Wie soll das Schweriner Jubiläum am 4. September gefeiert werden?
Marie-Claire Heuer: Wir beginnen mit einer Andacht. Danach gibt es ein paar Grußworte. Und dann wird unser Buch vorgestellt. Ehrenamtliche Mitarbeitende der Bahnhofsmission haben Geschichten aus den vergangenen Jahren gesammelt und abdrucken lassen. Diese fesselnden Kurzgeschichten aus dem Alltag der Ehrenamtlichen werden ebenfalls vorgestellt.
epd: Wovon wird denn da so berichtet?
Heuer: Von Erlebnissen mit Gästen, etwa von dem Gespräch mit einer verzweifelten Frau, die nicht wusste, wie sie die nächsten Wochen überstehen soll. Oder Ehrenamtliche berichten über eigene Erfahrungen, wie sie zur Bahnhofsmission gekommen sind. Oder auch lustige Geschichten wie die über einen Hund, der auf dem Bahnsteig ausgebüxt war und wieder eingefangen werden musste.
epd: Welche Menschen engagieren sich denn ehrenamtlich bei der Bahnhofsmission Schwerin?
Heuer: Etwa zwei Drittel sind Frauen. Unser Durchschnittsalter ist 60. Die jüngste ist Anfang 20, die älteste Anfang 70. Manche sind berufstätig, viele sind aber schon im Ruhestand und wollen noch was tun, was zurückgeben. Alle Ehrenamtlichen erhalten für ihren Dienst Schulungen.
epd: Schaffen Sie es, die geplanten Öffnungszeiten (montags bis freitags 9 bis 18 Uhr und am Wochenende jeweils 13.30 bis 17.30 Uhr) einzuhalten?
Heuer: Meistens schon. Aber während der Urlaubszeit schaffen wir es nicht immer, denn der Dienst erfolgt immer zu zweit. Und gerade jetzt sind einige der etwa 30 Ehrenamtlichen im Urlaub oder betreuen Enkelkinder.
epd: Was für Menschen kommen denn als Gäste zur Bahnhofsmission?
Heuer: Das ist wie eine bunte Zuckertüte, man weiß nie, was man erwischt und wer reinkommt. Und das ist besonders spannend, weil es toll ist, so unterschiedlichen Menschen zu begegnen. Es kommen Leute, die reisen, die sich hier ausruhen wollen von der Hitze im Sommer oder von der Kälte im Winter. Es kommen Familien, wo die Kinder die Eisenbahn im Schaufenster gesehen haben und damit spielen wollen. Aber es kommen auch Menschen, die von Armut bedroht oder betroffen sind oder obdachlos.
epd: Was bietet ihnen die Bahnhofsmission an?
Heuer: Beispielsweise Ein-, Aus- und Umsteigehilfen. Oder etwas zu trinken – einen Kaffee, Tee, Wasser, gern gegen eine Spende. Und darüber kommen wir meistens ins Gespräch. Wenn der Gast es möchte, vermitteln wir auch Hilfsangebote, etwa bei Schulden oder wenn jemand Opfer einer Straftat geworden ist.
Oder wir gehen bei Hitze in die Bahnhofshalle und auf den Bahnhofsvorplatz und laden Wartende ein, in unseren Räumlichkeiten ein Glas Wasser zu trinken.
Wir haben hier auch Kinder als Gäste, die eine Stunde auf ihren Anschlusszug warten müssen. Dann kommen sie rein, trinken einen Saft und machen ihre Hausaufgaben.
epd: Welche Haltung steht dahinter?
Heuer: Wir sind freundlich und schätzen jeden Menschen als Gast. Manche Menschen bekommen in der Gesellschaft ja wenig Wertschätzung. Es ist wichtig, jeden so gleich wie möglich zu behandeln, finde ich.
epd: An der Wand der Bahnhofsmission hängt ein Kreuz. Welche Rolle spielt der christliche Glaube hier?
Heuer: Wir sind Kirche am anderen Ort. Das heißt nicht, dass unsere Mitarbeitenden evangelisch oder katholisch sein müssen. Wir haben ganz viele, die nicht an Gott glauben. Das ist vollkommen ok, solange man Nächstenliebe leben kann. Die Botschaft dahinter ist wichtig. Wir reden offen über Themen. Uns ist es wichtig, alles ansprechen zu können. Hauptsache ist, wir kommen als Menschen zusammen. Das ist schon christlich.
epd: Gibt es denn Stammgäste?
Heuer: Ja. Vor und während Corona waren es einsame Menschen. Die scheinen jetzt anderswo in der Stadt einen Platz gefunden zu haben. Seit etwa zweieinhalb Jahren haben wir viele Obdachlose, die herkommen.
epd: Hat Obdachlosigkeit denn zugenommen?
Heuer: Ich glaube, ja. Obwohl man das an der Statistik der Landeshauptstadt nicht erkennen kann. Das Obdachlosenheim ist meist nicht voll belegt. Wir merken aber hier am Bahnhof, dass wir viele Obdachlose haben.
epd: Was sollte denn noch für Obdachlose getan werden in Schwerin?
Heuer: Es wäre gut, wenn mehr Geld ins Obdachlosenheim fließen würde, so dass dort unter anderem auch Sozialarbeiter beschäftigt sind. Gut fände ich auch alternative Wohnkonzepte für Wohnungslose wie beispielsweise „Housing First“.
epd: Ist die Finanzierung der Bahnhofsmission gesichert?
Heuer: Wir werden von der Landeshauptstadt Schwerin finanziell unterstützt und vom evangelischen Kirchenkreis Mecklenburg. Die Bahn stellt uns die Räumlichkeiten kostenfrei zur Verfügung und bezahlt auch die Nebenkosten für unsere Räume im Bahnhofsgebäude.
Und wir haben Spenderinnen und Spender, die uns regelmäßig Getränke oder ‘ne Tüte Kaffee vorbeibringen. Darüber freuen wir uns sehr. Außerdem gibt es Spendenaktionen, beispielsweise von einem Supermarkt, der das Geld für die Pfandbons für uns sammelte. Das hilft uns, die Finanzierungslücke zu schließen. Damit wir auch zukünftig unser Angebot anbieten können, sind wir auf weitere Spenden angewiesen und freuen uns über jede finanzielle Unterstützung.