Wer den Rettungsdienst unter 112 anruft, muss mit unterschiedlichen Reaktionszeiten rechnen. Experten wollen das nicht länger hinnehmen. Der Staat erfülle seine Pflicht nicht, kritisieren sie. Und gehen nach Karlsruhe.
Es geht um Menschenleben: Die Rettungsdienste und die Notfallversorgung in Deutschland weisen aus Sicht von Experten erhebliche Missstände auf. Deshalb hat die Björn Steiger Stiftung aus Winnenden am Donnerstag Verfassungsbeschwerde gegen die Bundesregierung und die Bundesländer in Karlsruhe erhoben. Die Klage gegen die Länder richtet sich stellvertretend gegen das Land Baden-Württemberg.
“Die Menschen in Deutschland haben ein Grundrecht auf ein flächendeckendes, einheitliches und qualitativ hochwertiges Rettungsdienst-System”, sagte Stiftungs-Präsident Pierre-Enric Steiger in Berlin. Der Bund komme seiner Aufgabe, die Notfallversorgung der Bürger sicherzustellen, nur unzureichend nach und stelle kein durchgängig funktionierendes, flächendeckendes Rettungsdienst-System mit bundesweit vergleichbaren Qualitätsstandards zur Verfügung. Die Stiftung engagiert sich seit Jahrzehnten für eine Verbesserung des Rettungswesens in Deutschland; sie war unter anderem an der Einführung der Notrufnummern 110 und 112 beteiligt.
Steiger forderte eine grundlegende technische und rechtliche Erneuerung des Rettungsdienstes und beklagte politischen Stillstand: Deutschland sei im Rettungsdienst Entwicklungsland. Täglich würden Menschen sterben, obwohl ihr Tod vermeidbar wäre. Die Fallzahlen der Notrufe seien stark gestiegen, jedoch werde der Rettungsdienst häufig durch Einsätze in nicht lebensbedrohlichen Fällen blockiert.
Der Jurist Wolfgang Spoerr erklärte, der Staat habe aus verfassungsrechtlicher Sicht eine Schutzpflicht. Diese bestehe vor allem, da Bund und Länder das Rettungssystem selbst entwickelt hätten und die hohen Kosten von zuletzt mehr als 12 Milliarden Euro im Kern durch die gesetzlichen Krankenversicherungen finanzierten. Zugleich liege die Zuständigkeit für den Rettungsdienst bei den Ländern.
Der frühere Präsident der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery, kritisierte, in Deutschland hänge es von der Postleitzahl ab, ob und wie schnell man gerettet werde. Es gebe 16 verschiedene Rettungsgesetze. Die Ausstattung der bundesweit 230 Leitstellen und Rettungswagen sei regional sehr unterschiedlich; es gebe kaum Digitalisierung. Die verpflichtenden Einsatzfristen seien von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich.