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Sorge in Kirche und Judentum nach Wahl – “Kein Protest mehr”

“Haltet den Laden zusammen” – so sieht die Caritas-Präsidentin den Auftrag an die Politik angesichts des Rechtsrucks. Dieser sorgt für Bestürzung bei Religionsvertretern. Ein Oberrabbiner sagt, was jetzt geschehen muss.

Mit Sorge blicken Vertreter von katholischer Kirche und Judentum auf die Ergebnisse der Europawahl. Sie riefen angesichts der Erfolge von rechtsextremen und nationalistischen Parteien – auch bei jungen Leuten – zum Einsatz für die Demokratie und zum Zusammenhalt in Deutschland und Europa auf. Zuversichtlich zeigten sie sich jedoch mit Blick auf die gestiegene Wahlbeteiligung.

Der für EU-Themen zuständige Bischof Franz-Josef Overbeck sagte der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA), Demokratie brauche ein “engagiertes Bekenntnis”. Insgesamt zeige das Ergebnis in Deutschland aber, “dass die demokratischen und europaverlässlichen Kräfte als Gesamt gestärkt wurden”. Der Essener Bischof ist Vorsitzender der Arbeitsgruppe Europa der Deutschen Bischofskonferenz und Delegierter bei der EU-Bischofskommission COMECE.

“Wir sind mehr denn je herausgefordert, uns für die demokratische Kultur und für Europa zu engagieren”, betonte der Hamburger Erzbischof Stefan Heße. Der Trierer Bischof Stephan Ackermann zeigte sich gegenüber der KNA erschrocken über die Zustimmung junger Menschen zur AfD: “Ich sehe nicht, dass diese Partei eine echte Antwort gibt auf die Sorgen junger Menschen um unseren Planeten oder um ihre Perspektiven für Ausbildung, Studium und Arbeits- und Familienleben.” Es müsse nun erfragt werden, was die Wahlentscheidung für die AfD ausgelöst habe und wie dem begegnet werden könne.

Auch die Präsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Irme Stetter-Karp, zeigte sich bestürzt darüber, dass unter den Erstwählern in Deutschland 17 Prozent ihr Kreuz bei der AfD gemacht hätten. Daher müssten demokratische Bildung an den Schulen gestärkt und ein dauerhaftes” Netzwerk für Zivilcourage und gegen Rechtsextremismus” geknüpft werden.

Die Präsidentin des Deutschen Caritasverbandes, Eva Maria Welskop-Deffaa, sagte der KNA, dass die überwältigende Mehrheit der Wählerinnen und Wähler der Politik in Deutschland den klaren Auftrag erteilt habe: “Haltet den Laden zusammen.” Die politisch Verantwortlichen müssten diesen Auftrag nun entschlossen umsetzen.

Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, erklärte, es müsse allen demokratischen Kräften zu denken geben, dass in Deutschland rechts- und linkspopulistische Parteien ein Fünftel der Wählerstimmen bekommen hätten. “Das ist kein Protest mehr.”

Der Rechtsruck ist nach Worten des Präsidenten der orthodoxen Europäischen Rabbinerkonferenz (CER), Pinchas Goldschmidt, “auch eine politische Folge des 7. Oktober und seiner Nachwirkungen nach dem Angriff der terroristischen Hamas auf Israel”. Die Mehrheit der politischen Führungspersönlichkeiten der Mitte habe sich lange neutral verhalten und nicht angemessen auf pro-islamistische und anti-israelische “Hassreden und Radikalisierungen” reagiert. Mit ihrem Verhalten hätten die Führungspersönlichkeiten “viele Wähler Europas in die Arme rechtspopulistischer Parteien getrieben”.

Die EU und die europäischen Regierungen dürften nicht länger passiv zuschauen, sondern müssten eine umfassende Strategie entwickeln, “die Integrations- und Religionspolitik mit sicherheitspolitischen Handlungsfeldern kombiniert, religiösen und politischen Extremismus effektiver bekämpft und moderate Muslime in Europa besser unterstützt”.

Nach dem vorläufigen amtlichen Endergebnis erreichte die AfD in Deutschland nach Angaben der Bundeswahlleiterin 15,9 Prozent der Stimmen und liegt damit auf Platz zwei nach der Union mit 30 Prozent. In Ostdeutschland ist die AfD Medienberichten zufolge die stärkste Kraft. Die SPD erreicht 13,9 und die Grünen 11,9 Prozent. Die Linke bekam 2,7 Prozent, das neue BSW auf Anhieb 6,2 Prozent. Die Wahlbeteiligung lag bei 64,8 Prozent (plus 3,4 Prozentpunkte).