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Rechter Kampfbegriff – “Remigration” ist Unwort des Jahres

Sprache ist nie harmlos. Erst recht nicht, wenn Ideologien für Vertreibung und Deportation verschleiert werden sollen. Das ist die Überzeugung der Unwort-des-Jahres-Jury. Doch was kann die Wahl bewirken?

“Wir lassen nicht zu, dass jemand das Wir in unserem Land danach unterscheidet, ob jemand eine Einwanderungsgeschichte hat oder nicht.” Dass Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) das Selbstverständliche betonen muss, ist auch Folge des rasanten sprachlichen Aufstiegs eines nun zum Unwort des Jahres gewählten Begriffs: “Remigration”.

Neue Rechte, AfD und Rechtsextreme nutzen das aus der Migrationsforschung stammende Fachwort (lateinisch für Rückwanderung) seit Längerem mit einer klaren Stoßrichtung: Der zunächst nach freiwilliger Rückkehr klingende Begriff wird als Überschrift für eine ausländerfeindliche Ideologie umgedeutet. Bis hin zu Abschiebungen und Deportation.

ZDF-Moderatorin Dunja Hayali, Tochter irakischer Christen, warnt, das weichgezeichnete Wort wolle Klarheit verschleiern: “Und klar ist, es geht um Deportation. Menschen mit einer ‘vermeintlich falschen Hautfarbe oder Herkunft’ sollten mit wohltemperierter Grausamkeit’ abgeschoben worden.”

Der katholische Flüchtlingsbischof Stefan Heße sagte am Wochenende, hinter der Remigrations-Ideologie der Rechten verstecke sich der “zutiefst menschenverachtende und verstörende Plan zur systematischen Diskriminierung, massenhaften Ausweisung und Deportation von Menschen mit Zuwanderungsgeschichte”.

Zuletzt wurde bekannt, dass sich AfD-Vertreter bei einem Treffen in Potsdam mit neu-rechten Aktivisten hinter verschlossenen Türen über Remigrations-Strategien austauschten. Mit dabei war auch der österreichische Rechtsextremist Martin Sellner. Sein Buch “Remigration – Ein Vorschlag” ist im Antaios-Verlag für Februar angekündigt. Laut dem Verlag, der vom Bundesverfassungsschutz als Verdachtsfall beobachtet wird, schwebt Sellner eine Politik vor, um innerhalb von 30 bis 40 Jahren illegal eingewanderte und “nicht integrierbare und unerwünschte Ausländer” loszuwerden. “Zum Wohle aller”, wie der Extremist betont.

Für die Unwort-Jury war die Remigrations-Wahl damit eine nahe liegende Entscheidung. Die Sprachexpertinnen und -experten wollen immer dann den Finger in die Wunde legen, wenn Sprache für menschenunwürdige Zwecke missbraucht wird, wie die Marburger Sprachwissenschaftlerin und Jury-Sprecherin Constanze Spieß der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) sagte. “Es geht uns nicht um Sprachvorschriften. Wir wollen nur jedem und jeder die Möglichkeit geben, informiert über die Verwendung von Sprache zu entscheiden.”

Obwohl der Begriff “Remigration” einer breiteren Öffentlichkeit erst seit Kurzem geläufig sein dürfte, wurde er laut Spieß bereits seit Jahresbeginn 2023 immer wieder als Unwort vorgeschlagen. Insgesamt reichten ihn demnach 27 Bürger ein.

Und die Sprachexperten betonen, dass rechte Gruppierungen bereits seit 2016 gezielt versuchen, den Begriff ideologisch zu vereinnahmen und umzudeuten. Die AfD habe “Remigration” 2021 in ihrem Bundestagswahlprogramm verwendet. Mehrfach sei das Wort im vergangenen Jahr auch in Bundestagsdebatten aufgetaucht.

“Die Neue Rechte zielt mit dem Wortgebrauch darauf ab, kulturelle Hegemonie und ethnische Homogenität zu erlangen. Das, was mit der Verwendung des Wortes gefordert wird, verletzt freiheitliche und bürgerliche Grundrechte von Menschen mit Migrationsgeschichte”, sagte Spieß.

An der Unwort-Wahl hatten sich 2.300 Bürger und Bürgerinnen mit 710 verschiedenen Vorschläge beteiligt. Neben Sprachwissenschaftlern und Sprachwissenschaftlerinnen sowie einer Journalistin lädt die Jury jährlich einen wechselnden Gast zur Mitentscheidung ein – in diesem Jahr den CDU-Politiker Ruprecht Polenz.

Auch Polenz warnte, “Remigration” komme als Begriff harmlos daher. AfD und Identitäre Bewegung verschleierten damit aber ihre wahren Absichten, nämlich die “Deportation aller Menschen mit vermeintlich falscher Hautfarbe oder Herkunft”. Polenz sagte, dass mit der Unwort-Wahl diese Täuschung nicht mehr so leicht gelingen werde.