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Pro & Contra: Sind die Demos gegen den CDU-Kurs überzogen?

Auch an diesem Wochenende sind wieder hunderttausende Menschen gegen den CDU-Kurs auf die Straße gegangen. Die Union hatte zweimal die Stimmen der AfD in kauf genommen. Sind die Demos angemessen?

In München sind etwa 250.000 Menschen auf die Straße gegangen
In München sind etwa 250.000 Menschen auf die Straße gegangenImago / Nur Photo

Pro: Die Demos sind überzogen
von Karola Kallweit

Seit bald zwei Wochen finden überall in Deutschland Demonstrationen gegen rechts statt. Jene in Berlin vom 2. Februar, die sich mit viel Chuzpe selbst das Motto „Aufstand der Anständigen“ gab, und auch die vielen anderen, richten sich aber, anders als man vermuten könnte, gegen die CDU. Die einzige große Oppositionspartei der demokratischen Mitte. Ist das angemessen? Ich finde nein.

Es ist beschämend, wenn die CDU-Bundestagsabgeordnete Serap Güler aus Köln berichtet, dass sie als Tochter eines türkischen Gastarbeiters, nun als Nazi beschimpft wird. Denn unter den Demonstrierenden gilt das Prinzip: Wer nicht für uns ist, ist gegen uns. Nicht wenige vertreten die Ansicht, wer die CDU wählt, ist ein Nazi. Viel Raum für nachdenkliche Zwischentöne bleibt hier nicht. Da wird der Kampf gegen den Faschismus mit „Alerta-Rufen“ oder der Parole „Ganz Berlin hasst die CDU“ beschworen. Nicht nur, dass Nazi-Vergleiche mittlerweile wirklich beliebig sind und die Grausamkeiten des Dritten Reiches verharmlosen, auch die Aggressionen nehmen spürbar zu. Parteibüros der CDU werden von Aktivisten belagert und Politiker werden bedroht. Geht es auch eine Nummer kleiner?

Proteste gegen Merz spalten Gesellschaft

Warum diese Maßlosigkeit? Warum kein inhaltlicher Protest für etwas? Mehr Naturschutz, soziale Gerechtigkeit, innere Sicherheit oder Frieden? Um Kompromisse in der Migrations- und Asylpolitik geht es denjenigen nicht, die sich hier als Widerstandskämpfer gerieren. Ihre Proteste spalten die Gesellschaft in gute und schlechte Bürger, richtige und falsche Wähler. Sie sind eingebettet in eine plakativ zur Schau gestellte und vermeintliche moralische Überlegenheit gegenüber Andersdenkenden. Und ganz nebenbei stärken sie so auch noch den rechten Rand, gegen den sie ja eigentlich die Brandmauer sein wollen.

Diese Demonstrantin in München hat eine klare Forderung
Diese Demonstrantin in München hat eine klare ForderungImago / Wolfgang Maria Weber

Contra: Die Demos sind nicht überzogen
von Timo Teggatz

Es ist schon Wahnsinn: Vor einem Jahr demonstrieren hunderttausende Menschen gegen die AfD und ihre menschenverachtenden Pläne zur “Remigration”. In diesen Tagen versammeln sich wieder Menschen in Massen zu Protesten. Doch dieses Mal ist nicht die radikale Rechtsaußen-Partei das Ziel ihres Ärgers – sondern die CDU, eine Volkspartei der demokratischen Mitte.

Doch diesen Wahnsinn hat sich die Union selbst zuzuschreiben, nachdem Kanzlerkandidat Friedrich Merz gleich zweimal im Bundestag die Stimmen der AfD in kauf genommen hat – für nichts außer einem bisschen Wahlkampf. Die Demonstrationen sind absolut angemessen, denn sie weisen auf einen eklatanten Wortbruch des CDU-Chefs hin. Noch wenige Wochen vorher hatte er im Bundestag versprochen, genau das nicht zu tun – was den wahrscheinlichen nächsten Kanzler ziemlich unglaubwürdig macht.

Demos gegen Rechtsruck: Zivilgesellschaft bleibt kritisch

Die Proteste quer durch die Republik zeigen außerdem, dass die Zivilgesellschaft kritisch bleibt, vor allem bei Themen, die mit der AfD zu tun haben. Diese Vereinigung von Radikalen darf auf keinen Fall wie eine normale Partei rüberkommen. Doch mit den Abstimmungen im Bundestag ist genau das der Fall gewesen. Es ist nicht zuletzt wegen unserer Geschichte ein gutes Zeichen, wenn Menschen von Flensburg bis Garmisch auf die Straße gehen gegen die Normalisierung einer Rechtsaußen-Partei.

Am Ende des Tages zeigen die Proteste kurioserweise auch eines: Politikverdrossen ist diese Gesellschaft überhaupt nicht. Denn das, was im Bundestag passiert ist, ist den Menschen auf der Straße nicht egal. Sie machen sich Sorgen um den Zustand unserer Demokratie. Und das ist gut so.