Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt trifft inzwischen Vorsichtsmaßnahmen, wenn sie sich unbegleitet in der Öffentlichkeit bewegt. Grund seien die gehäuften Angriffe auf Politikerinnen und Politik im gesamten Land, sagte die Grünen-Politikerin dem Evangelischen Pressedienst (epd). In den vergangenen Wochen und Monaten habe es Vorfälle bei Veranstaltungen, aber auch in eher privaten Situationen gegeben. Göring-Eckardt fordert mehr Aufklärung darüber, dass populistische Politikmodelle Wohlstand kosten werde und schlecht für das Land sowie ganz Europa seien.
epd: Wer Sie von draußen mit Mütze und hochgestelltem Kragen hereinkommen sieht, könnte denken, Sie tarnen sich. Ist das eine Reaktion auf den Angriff in Brandenburg neulich?
Katrin Göring-Eckardt: Ja, das stimmt. Aber es war nicht die erste unangenehme oder bedrohliche Begegnung. Wenn ich allein herumlaufen möchte, versuche ich mittlerweile, dass mich nicht jeder auf den ersten Blick erkennt.
epd: Ihnen geht es nicht um fünf Minuten Ruhe oder Privatheit? Etwa weil Sie nicht von jedem angesprochen werden möchten?
Göring-Eckardt: Nein. Ich werde eigentlich gerne angesprochen. Gerade hier zu Hause in Thüringen. Das sind ja oft auch Menschen, die ich kenne und die mich kennen und wissen, wo ich meine Brötchen einkaufe. Mütze und Mantel sind tatsächlich eine Vorsichtsmaßnahme. In den letzten Wochen und Monaten sind zu viele Dinge passiert. Bei mir persönlich zum Teil in eher privaten Situationen, aber vor allem im ganzen Land.
epd: Sie haben Brandenburg genannt. Ist das ein ostdeutsches Phänomen?
Göring-Eckardt: Nein, das passiert auch in Nordrhein-Westfalen oder Baden-Württemberg. Denken Sie nur an den politischen Aschermittwoch im Februar in Biberach. Dort musste eine Veranstaltung von uns Bündnisgrünen abgesagt werden, weil die Sicherheitslage eine Durchführung nicht mehr zuließ. Insofern ist es nicht nur ein Ost-Problem. Es ist derzeit grundsätzlich eine Verrohung und Enthemmung zu spüren. Es gibt leider immer mehr Menschen, die denken, diese Form von Aggressivität im politischen Umgang miteinander gehöre zur Normalität. Ich werde alles dafür tun, dass das nicht das „neue Normal“ wird. Plakate zerstören, Leute anschreien, anspucken oder schlimmstenfalls sogar gewalttätig werden – das geht gar nicht und hat in der politischen Auseinandersetzung nichts verloren.
epd: Wie wollen Sie das schaffen? Muss auch Politik etwas anders machen?
Göring-Eckardt: Ja und nein. Einerseits sind wir Politiker und Politikerinnen. Wir debattieren, verhandeln und beschließen Gesetze und schauen, dass sie umgesetzt werden. Andererseits habe ich für mich beschlossen, miteinander zu reden – am Tisch und mit Blickkontakt – ist besser, macht klüger und empathischer als die Rede auf der großen Bühne. Für alle Seiten sollte gelten: mehr Zuhören und weniger Zutexten, die Sache auch mal von drei Seiten betrachten. Oftmals haben die Menschen, die dann von sich aus Themen ansprechen, auch schon Ideen für eine Lösung.
epd: Das klingt fast zu einfach.
Göring-Eckardt: Wir sind als Gesellschaft insgesamt gerade unter großem Druck und tief gespalten. Es ist richtig, nur mit einer anderen Kommunikation werden wir diese Probleme nicht lösen. Daran zu arbeiten, ist auch nicht allein die Aufgabe der Politik. Das ist eine Aufgabe, an der wir alle mitwirken müssen. Allen, die sich in dieser Phase zurücklehnen und die anderen machen lassen, kann ich nur sagen, das wird nicht funktionieren. Wir müssen das alle gemeinsam hinbekommen. Und Politiker, die sagen, „ich mache das schon für Euch“ und sich als Dienstleister verkaufen, sind ebenfalls mit Vorsicht zu genießen.
epd: Kann ein AfD-Verbot Teil der Lösung sein?
Göring-Eckardt: Ich bin als Bundestagsvizepräsidentin Mitglied in einem Verfassungsorgan. Deswegen muss ich mir schon Gedanken darüber machen, wie wir die Verfassung schützen. Das gilt insbesondere für Parteien, die so offensichtlich nicht mehr auf dem Boden des Grundgesetzes stehen. Diese Prüfung ist mithin unumgänglich. Natürlich verschwindet die Gesinnung in den Köpfen der Anhänger nicht. Und diese Auseinandersetzung ist ebenso dringend geboten.
epd: Sie sprechen von einer notwendigen Auseinandersetzung?
Göring-Eckardt: Ich denke, es war ein Fehler, sich über einen so langen Zeitraum inhaltlich nur wenig auseinanderzusetzen. Das hat sich geändert. Gut so, die Menschen sollen wissen, dass die Politik der AfD Wohlstand kosten wird und schlecht für unser Land und ganz Europa ist.
epd: Also gehören Sie zu denjenigen, die das TV-Duell zwischen Mario Voigt (CDU) und Björn Höcke (AfD) grundsätzlich begrüßt haben? Es gab ja massive Kritik an dem Format.
Göring-Eckardt: Zu Recht. Natürlich habe ich Respekt vor Mario Voigt, das war ein Wagnis. Aber richtig fand ich dieses TV-Duell nicht.
epd: Warum?