„Mutig, stark, beherzt“ – was für eine passende Kirchentagslosung in unserer Zeit! Viele sind derzeit voller Sorgen, ja geradezu mutlos. Und das lässt sich sehr wohl nachvollziehen. Die Zahl der Kriege weltweit ist auf einem Höchststand. Hunderte von Milliarden sollen in Rüstung investiert werden. Millionen Menschen sind auf der Flucht. Nach einer Studie der Helmut-Schmidt-Stiftung lebt heute jeder sechste Mensch auf der Welt in einem aktiven Kriegsgebiet. Da kann der Mensch schon mal verzagt werden.
Mir liegt daran, dass wir auf dem Kirchentag miteinander Mut schöpfen und den auch weitertragen in unsere Gemeinden, in unsere Gesellschaft, diese so zerrissene Welt. Dafür gibt es drei Quellen:
Zum einen ist es ganz schlicht die christliche Botschaft. Jesus hat gesagt: „Steck‘ das Schwert an seinen Ort, als einer ihn vor der Verhaftung schützen wollte. Er hat gepredigt: „Selig sind, die Frieden stiften.“ Und mehr noch hat er gefordert: „Liebet eure Feinde!“
Margot Käßmann: Jesu Botschaften sind „Provokationen der Liebe“
Das sind geradezu ungeheuerliche Provokationen in einer Zeit, in der täglich das Mantra von Abschreckung und Aufrüstung verkündet wird. Als Christinnen und Christen müssen wir nicht in den cantus firmus der Aufrüstung einstimmen. Denn wir glauben an einen Friedefürsten, der nicht mit Gewalt und Macht daherkommt, sondern mit der ungeheuerlichen Provokation der Liebe. Dabei ist Liebe nicht passiv, sie bleibt nicht selbstzufrieden auf dem Sofa zurück, sondern tritt engagiert ein für das Leben.
Zum anderen bedeutet Pazifismus nicht, passiv zu sein. Schon in der Bergpredigt zeigt Jesus, was das heißen kann: Die andere Wange hinhalten, die zweite Meile mitgehen. Das sind geradezu Anleitungen zum aktiven, gewaltfreien Widerstand. Nicht die Putins, Trumps, Netanyahus und Erdoğans dieser Welt, nicht die Mullahs und die Terroristen werden das letzte Wort haben, sondern die Menschen, die in Frieden miteinander leben wollen. Es ist geradezu unsere Verantwortung, nicht von den Mächtigen her zu denken, sondern von den Opfern, die in aller Welt unter Krieg und Gewalt leiden, all den Kinder, Frauen, Zivilisten – und auch Soldaten.
Margot Käßmann: „Lasst uns aus der Geschichte lernen!“
Und schließlich: Wir sind nicht allein! Auf der ganzen Welt, in all den Konflikten stehen immer wieder mutige Menschen auf gegen Rüstung, Gewalt, Rassismus und Machtgier. Die Schriftstellerin Ingeborg Bachmann hat gesagt, die Geschichte lehre andauernd, doch sie finde keine Schüler.
Lasst uns aus der Geschichte lernen! Aufrüstung und Krieg haben immer nur Leid und Zerstörung, Elend und Grauen mit sich gebracht. Davon kann unser Land, das im letzten Jahrhundert zwei entsetzliche Kriege in Gang gesetzt hat, ein Lied singen. Stimmen wir deshalb das Lied der Hoffnung an: Es kann sich ändern. Völker können sich versöhnen und Menschen können in Frieden und Gerechtigkeit miteinander leben!
Käßmann zitiert Schalom Ben-Chorin
Mich selbst ermutigt in diesen Tagen ein solches Lied. Von den Nazis bedrängt verließ Fritz Rosenthal 1935 mit 22 Jahren Deutschland und ging nach Jerusalem. Er änderte seinen Namen in Schalom Ben-Chorin: Friede, Sohn der Freiheit. 1942 während Krieg und Shoah in Europa toben, dichtet er:
Freunde, dass der Mandelzweig wieder blüht und treibt, ist das nicht ein Fingerzeig, dass die Liebe bleibt? Tausende zerstampft der Krieg, eine Welt vergeht. Doch des Lebens Blütensieg leicht im Winde weht. Angesichts des Massenmordes an den europäischen Juden und des grauenvollen Krieges, mit dem Deutschland ganz Europa überzogen hatte, erscheint das Lied naiv, weltfremd, als ob es das Leid ignoriere.
Margot Käßmann: Kriegstüchtigkeit kein sinnvolles Ziel
Aber das tut es eben nicht. Es zeigt die trotzige Hoffnung, dass Gott nicht abwesend ist, damals Jesus und heute uns nicht verlassen hat, auch wenn der erste Anschein so sein mag. Die Liebe und das Leben werden siegen. Wenn Shalom Ben-Chorin damals so hoffen konnte, dann ist das doch für uns heute in einem Deutschland, in dem wir in Frieden leben dürfen, geradezu eine Verpflichtung, mutig, stark und beherzt für Frieden, Diplomatie, Versöhnung einzutreten. Es kann kein sinnvolles Ziel sein, kriegstüchtig zu werden. Friedensfähig müssen wir werden.