Die Frage nach Frieden bewegt die Gemüter. Vor allem das BSW hat den Friedensbegriff zum Politikum gemacht. Wie er das findet, erklärte der Friedensbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland, Friedrich Kramer, im Interview mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Der mitteldeutsche Landesbischof, der mit seiner pazifistische Linie auch in der eigenen Kirche aneckte, ist nicht zuletzt durch die neue Brombeer-Regierung in Thüringen mit dem BSW auf Tuchfühlung.
Herr Bischof Kramer, Frieden ist zu einem politisch umkämpften Begriff geworden. Forciert hat das vor allem das BSW. Die Koalitionsverhandlungen in Thüringen, Brandenburg und Sachsen standen und fielen mit dem Friedensbegriff. Wie haben Sie das wahrgenommen?
Das BSW hat die Friedensfrage geschickt aufgegriffen. Es ist einfach ein Thema, das viele Menschen aktuell bewegt und für viele seit dem Beginn des russischen Angriffskriegs in der Ukraine an Bedeutung gewonnen hat – und zwar in einer Weise, dass es auch die politischen Entscheidungen der Menschen beeinflusst. Das ist ein Marker, den man ernst nehmen muss.
Die AfD hatte groß “Frieden” als Schlagwort auf Wahlplakate gedruckt. In ihrem jüngsten Papier “Frieden und Souveränität” heißt es: “Wir sind die einzige Friedenspartei.” Ist dem so?
Das ist eine Selbstbezeichnung, der ich nicht folgen würde. Die AfD ist als populistische Partei professionell darin, die Friedenssehnsucht vieler Menschen aufzugreifen, gerade hier im Osten. Gleichzeitig muss einen die gewaltvolle Sprache der AfD aufhorchen lassen, wenn gerufen wird: “Remigration” oder es heißt: “Wir wollen uns unser Land zurückholen.” Von Friedensfähigkeit für den Frieden in unserem Land ist diese Partei weit entfernt.
Ist das BSW eine Friedenspartei?
Das kann, glaube ich, noch niemand sagen. Wenn ich mir die BSW-Chefin Sahra Wagenknecht ansehe, habe ich da Zweifel. Gerade auch, weil sie von der Kommunistischen Plattform her kommt. Für das BSW hier in Thüringen kann ich sagen, dass wir die Landeschefin Katja Wolf gut kennen, dass sie durchaus jemand ist, dem ich den Friedenswillen abnehme.
Der Essener Bischof Franz-Josef Overbeck hat kritisiert, in den Führungsstrukturen des BSW gebe es “Züge von Neo-Stalinismus”. Sehen Sie das auch?
Ja, es gibt solche Züge, etwa die sehr straffe hierarchische Leitung. Aber wir sehen auch, wie das an Grenzen stößt, etwa bei den Koalitionsverhandlungen in Thüringen, wo sich der Landesverband durchaus von der Zentrale abgegrenzt hat. Wir werden das weiter beobachten.
Muss es den Kirchen nicht Unbehagen bereiten, dass es die politischen Ränder sind, die den Friedensbegriff wieder groß gemacht haben und in der Debatte auch vernehmlicher sind als etwa die Stimme der Kirchen?
In den 70er, 80er Jahren haben die Kirchen die Friedensfrage ja ganz hochgestellt und waren da sehr aktiv. Die Bedingungen sind heute andere. Die Kirchen haben durch Skandale an Glaubwürdigkeit eingebüßt und sind mehr mit innerkirchlichen Themen beschäftigt. Trotzdem bleibt Frieden ein zentrales Thema für uns, ist Teil unserer DNA. Und wir werden als Kirchen, wenn wir klar sprechen, auch gehört.
Gerade im Osten Deutschlands müssen wir als Kirche ganz klar sagen: Wir sind die, die von der friedlichen Revolution herkommen. Wir stehen für Frieden ein, aber es gibt in der Gemengelage keine leichten Antworten, anders als die Populisten glauben machen wollen. Manche versuchen auch, pazifistische Stimmen in der Kirche mit Argumenten von BSW und AfD in einen Topf zu werfen, aber so einfach ist es nicht. Frieden schaffen ist ein Prozess, und manchmal kann man sich die Partner da nicht aussuchen. Aber dass dies ein Thema ist, das viele bewegt und sich viele klarere Schritte in Richtung Rüstungsbegrenzung und Verstärkung von Friedensverhandlungen wünschen, sollten alle politischen Parteien ernst nehmen.
Als EKD-Friedensbeauftragter vertreten Sie mit Blick auf den Ukraine-Krieg eine pazifistische Position, die ihre Kirche nicht unbedingt teilt. Sind Sie da näher beim BSW?
Man könnte auch fragen, ob das BSW nicht näher an uns ist (lacht).
Wo gehen Sie denn beim Friedensbegriff des BSW nicht mehr mit?
Der Friedensbegriff des BSW ist bis auf viele Interviews und Reden von Sahra Wagenknecht noch nicht sonderlich entfaltet. Wahrscheinlich kann man vielen Begrifflichkeiten zustimmen, die entscheidende Frage ist aber, welche Intention dahintersteht. Ich finde sehr bedauerlich, dass sich die klassischen Parteien da nicht stärker positionieren und ihr eigenes Herkommen und ihre eigene Geschichte in diesem Punkt kaum noch erkennbar sind, etwa bei SPD und Grünen.
Keine Waffenlieferungen mehr in die Ukraine und Friedensverhandlungen mit Putin – teilen Sie die russlandpolitische Linie des BSW?
Verhandeln mit jemandem heißt ja nicht, dass ich denjenigen in Ordnung finden oder seine Politik gut finden muss. Ich habe keine Illusionen über die Putinsche Politik. Aber ich finde, dass solche Sätze wie ‘Mit Putin kann man nicht verhandeln’ angesichts von Getreidedeals und Gefangenenaustauschen schlicht nicht stimmen. Die Frage ist, worüber verhandelt man, was sind die Ziele und was kann man durchsetzen? Vielleicht ist Donald Trump jemand, der da in seiner Art Dinge bewegen kann, die unter anderen Bedingungen gar nicht möglich wären, zum Beispiel einen Waffenstillstand als ersten Schritt.
Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) forderte mit Blick auf die Bedrohung aus Russland, dass Deutschland bis 2029 “kriegstüchtig” werden müsse.
Das halte ich für einen Irrweg. Wir müssen verteidigungsfähig bleiben. Dafür braucht es übrigens weniger Ressourcen als für Kriegstüchtigkeit. Der Begriff Krieg impliziert immer auch den Angriff, deswegen ist es wichtig, sprachlich achtsam zu sein. Niemand in der EU will Russland angreifen, dann sollte also konsequent von Verteidigung gesprochen sprechen. Kriegsfähig sind wir in Deutschland auch mental nicht und sollten es auch nicht werden.
Noch hält sich das BSW mit Positionierungen zu den Kirchen sehr bedeckt. Was denken Sie, in welche Richtung es gehen wird?
Das ist schwierig zu sagen. Man wird die Entwicklungen nach den Wahlen abwarten müssen. Noch ist ja unklar, ob diese Partei nur ein Strohfeuer ist. Sahra Wagenknecht hat keine Nähe zu den Kirchen. Aber man muss auf der Arbeitsebene vor Ort schauen: Mit den Linken, die ja auch eher kirchenfern sind, haben wir in Thüringen unter Ministerpräsident Bodo Ramelow, als bekennendem evangelischen Christen, als Kirchen gut zusammengearbeitet. Ich bin gespannt.