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Ihre Mission: helfen

In einer alten Polizeiwache in Dortmund leben derzeit knapp 120 Flüchtlinge – organisiert von der Diakonie. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter setzen sich für die Menschen ein, um ihnen beim Start in ein neues Leben zu helfen

Ein Afrikaner steht im Büro des Phoenix-Hauses und beschwert sich lautstark. Den Chef wolle er sprechen, sagt der Mann. Ein anderer weist ihn zurecht: „Das ist Chef!“ und deutet auf eine Frau, die eben in den Raum kommt. Der Afrikaner schaut etwas verwundert und legt von Neuem mit seiner Beschwerde los. Er spricht englisch, ist schwer zu verstehen. Die Frau ist Leiterin Nina Speziale. Sie bleibt ruhig. Im Moment habe sie keine Zeit, aber später werde sie mit ihm über sein Problem sprechen und eine Lösung finden. Damit gibt sich der junge Mann zufrieden.

Seit Juni leben im Phoenix-Haus Flüchtlinge

Nina Speziale atmet tief durch. Sie leitet Haus Phoenix, eine Flüchtlingsunterkunft in Dortmund-Hörde. „Für manche ist es erst mal schwer zu verstehen, dass eine Frau das Sagen hat“, berichtet die Sozialpädagogin. „Aber bisher wurde ich immer akzeptiert. Viele sprechen mich mit ,Chef‘ an.“
Seit Juni leben im Phoenix-Haus Flüchtlinge aus Syrien, Afghanistan, Eritrea, dem Irak und weiteren Ländern. Früher war das Haus eine Polizeiwache, dann war es eine zeitlang von Studenten bewohnt, bis die Stadt Dortmund im Sommer beschlossen hat, dort Flüchtlinge unterzubringen. Die Stadt hat das Diakonische Werk Dortmund und Lünen für die Arbeit im Phoenix-Haus beauftragt.
„Damals musste alles schnell gehen“, sagt Uta Schütte, die den Fachbereich Migration in der Diakonie  leitet. Wie jetzt auch: Uta Schütte hat in diesen Tagen erfahren, dass die Frenzelschule auch zu einer Flüchtlingsunterkunft werden soll – unter Obhut der Diakonie. „Am besten hätten wir schon gestern dort anfangen sollen, Flüchtlinge aufzunehmen.“ Jetzt heißt es: ganz schnell Personal finden und die Schule neu einrichten, mit Betten und anderen Möbeln versehen, die dort gebraucht werden. Die ehemalige Förderschule liegt nur etwa 500 Meter vom Phoenix-Haus entfernt.
„In dieser Arbeit muss man sehr flexibel sein“, sagt Uta Schütte. „Von einem Moment auf den anderen kommen ungeahnte Herausforderungen.“ Nina Speziale ergänzt: „Da muss man gelassen bleiben, sonst erreicht man gar nichts.“
Zuerst kümmert sich Uta Schütte um Personal. Wie auch im Phoenix-Haus werden auch in der Frenzelschule immer zwei so genannte Präsenzkräfte anwesend sein. „Sie sind eine Art Wachdienst, aber auch Ansprechpartner für die Flüchtlinge“, sagt Uta Schütte. Ganz wichtig sind Sprachkenntnisse. „Es müssen Menschen sein, die englisch oder französisch können, gerne auch arabisch.“ Außerdem müssen sie wissen, was eine Krankenkassenbescheinigung oder ein Quartal ist. Denn zu ihren Aufgaben gehört es auch, zum Beispiel einen Arzttermin zu vereinbaren.

Es gibt nicht genug kleine Wohnungen

Im Phoenix-Haus leben derzeit knapp 120 Flüchtlinge. „Die genaue Zahl ändert sich ständig“, sagt Nina Speziale. Manche finden eine Wohnung und ziehen um. Neue Flüchtlinge kommen. „Ein ganz großes Problem ist, dass es nicht genug Wohnraum gibt“, sagt Nina Speziale. Das Phoenix-Haus ist eine Durchgangsstation für die Menschen. „Wir suchen nach Wohnungen und helfen beim Umziehen.“ Die Flüchtlinge bekommen eine Erstaustattung mit auf den Weg – Bettzeug, Handtücher, etwas Geschirr und ähnliches. Etwa 35 Flüchtlingen konnte bereits eine Wohnung vermittelt werden.
„Wenn wir zu Sachspenden aufrufen, bekommen wir alles in in kürzester Zeit“, sagt Nina Speziale. Am meisten ist den helfenden Einrichtungen allerdings mit Geldspenden geholfen. „Wir bräuchten dringend ein Auto für die Arbeit im Phoenix-Haus. Einen kleinen Transporter oder einen Kastenwagen“, sagt Uta Schütte. Denn die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben oft Dinge zu transportieren, helfen bei Umzügen und fahren schon mal jemanden zum Arzt. Bisher geschieht das immer mit Privatwagen.
„Es ist unglaublich, zu welchem Einsatz die Mitarbeiter bereit sind. Auch die Ehrenamtlichen.“ Uta Schütte und Nina Speziale sind sich einig, dass die Stadt Dortmund gute Arbeit macht. „Das ist eine ganz besondere Atmosphäre. Die gemeinsame Arbeit schweißt zusammen.“
Auch die Flüchtlinge selbst packen mit an. Manche arbeiten für ein Taschengeld (1,05 Euro pro Stunde) im Haus mit – so wie Joseph Attitsogbui aus Ghana. Er ist für den Waschkeller zuständig. Das heißt: Er hat den Schlüssel und weiß, wie die Waschmaschinen und Trockner funktionieren. Die anderen wenden sich an ihn, und er schaut in seiner Liste, wann die Maschinen wieder frei sind. „Das ist gut. Ich mache das gerne“, sagt der 36-Jährige.
Seit sechs Monaten ist er in Deutschland. „Meine Eltern und mein Bruder wurden umgebracht, weil sie an Gott glaubten“, berichtet er auf deutsch. Seine Sprachkenntnisse hat er sich selbst beigebracht. „Ich bin davongekommen und konnte nach Nigeria flüchten.“ Von dort sei er nach Frankfurt geflogen, kam dann nach Stuttgart und schließlich nach Dortmund. Das alles erzählt er, als wäre es jemandem anders passiert.

Hoffnung auf einen Neuanfang

Joseph sitzt im Flur und wartet auf Rattab Hisham, dessen Wäsche demnächst fertig sein müsste. Da kommt er auch schon. Rattab Hisham ist erst zwei Monate in Deutschland, er kam aus Libyen. „In meinem Land gibt es keinen Frieden“, erzählt er. „Mein Vater wurde umgebracht. Weil wir Christen sind. Meine Mutter und ich konnten fliehen. Sie ist noch in der Türkei. Ich hoffe, sie kann bald nachkommen.“ Der 31-Jährige ist Ingenieur und hofft, sich in Deutschland eine Existenz aufbauen zu können.
Die beiden Männer gehen in den Wäschekeller, Joseph mit dem Schlüssel voran.
Viele haben ähnliche Schicksale. „Die Mehrheit ist traumatisiert“, sagt Nina Speziale. Hilfe zu organisieren ist schwierig. Es gibt nicht ausreichend Therapeuten. Dazu kommen Sprachprobleme.
Nina Speziale lässt sich nicht so schnell entmutigen. „Für die meisten Probleme finden wir eine Lösung. Irgendwie geht es immer weiter.“ Dann muss sie los – sie hatte dem Schwarzafrikaner versprochen, sich seinem Problem zu widmen.