Vor 80 Jahren endete in Europa der Zweite Weltkrieg. Doch noch immer ist die Erinnerungskultur dazu in Deutschland lückenhaft, wie ein Fachmann meint. Ihm geht es dabei um den Blick nach Osten.
Der Historiker Andreas Wirsching beklagt blinde Flecken in der Aufarbeitung der Nazi-Herrschaft. “Einer davon, der gegenwärtig stark diskutiert wird, ist, dass man die Erinnerungskultur mit Blick auf Osteuropa bis zum Beginn des Angriffskrieges lange Zeit sehr stark auf Russland fokussiert hat”, sagte Wirsching der “Augsburger Allgemeinen” (Donnerstag). Der Direktor des Instituts für Zeitgeschichte München – Berlin äußerte sich anlässlich des 80. Jahrestags der bedingungslosen Kapitulation der deutschen Wehrmacht. Damit endete am 8. Mai 1945 der Zweite Weltkrieg in Europa.
Wirsching ergänzte: “So ist insbesondere die Ukraine im deutschen Gedächtnis sehr stark unter die Sowjetunion subsumiert worden. Dabei waren gerade die deutschen Verbrechen in der Ukraine oder Belarus massiv.” Auch die Behandlung der sowjetischen Kriegsgefangenen und die Aushungerung Leningrads durch die Deutschen würden unterschätzt. “Dabei wurden ebenfalls alle völkerrechtlichen Normen mit Füßen getreten. Das waren schwere Kriegsverbrechen.”
Der Historiker warnte darüber hinaus vor der AfD. “Zwar kann man die AfD nicht einfach mit der NSDAP vergleichen, obwohl es durchaus ideologische Ähnlichkeiten gibt”, sagte Wirsching. “Was die Wählerschaft betrifft, so gleicht diese einem Extremismus der Mitte. Das ist eine deutliche Analogie zu der Wählerschaft der NSDAP.”
Wirsching zufolge hätte man schon vor Jahren den Versuch unternehmen sollen, die AfD zu verbieten. “Jetzt ist das natürlich schwierig. Aber es ist auf die Dauer ein unmöglicher und auch gefährlicher Zustand, dass ständig die Rede ist von einer gesichert rechtsextremistischen Partei, jetzt auch für die Gesamtpartei bestätigt durch das Bundesamt für Verfassungsschutz, die dann aber völlig frei agiert, ohne dass etwas passiert.”
Wirsching fügte hinzu: “Ich halte es in diesem Zusammenhang nach wie vor für eine fatale Entscheidung, dass das Bundesverfassungsgericht 2017 die NPD nicht verboten hat. Denn dann hätte man eine juristische Norm in der Hand gehabt, die zeigt, ob sich eine Partei noch innerhalb des demokratischen Spektrums bewegt oder nicht. Diese Chance wurde vertan.”