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Grünen-Kanzlerkandidat Habeck will Außenseiter-Chance nutzen

Er inszeniert sich am Küchentisch und denkt laut über seine Rolle in der Politik nach: Im zweiten Anlauf führt Robert Habeck die Grünen als Kanzlerkandidat durch den Wahlkampf – nach “Jahren der Härtung”, wie er sagt.

Im laufenden Bundestagswahlkampf gibt sich Grünen-Kanzlerkandidat Robert Habeck gerne als Außenseiter: Er sei “der Underdog”, sagt der amtierende Bundeswirtschaftsminister und Vizekanzler. Im Deutschlandfunk Kultur meinte er Anfang Januar, der Ball für einen Grünen-Kanzler habe 2021 bei der Wahl auf dem Elfmeterpunkt gelegen. Jetzt sei er gerade einmal über die Mittellinie gespielt.

Schaut man auf die Umfragewerte, in denen die Grünen konstant auf dem vierten Platz liegen, mag Habecks Attitüde realistisch erscheinen. Zugleich ist seine Partei neben der AfD die einzige, deren Werte seit dem Ampel-Aus Anfang November spürbar gestiegen sind.

Dass er seine Außenseiter-Chance selbstbewusst nutzen will, macht der 55-Jährige mit seinem “Team Robert” mehr als deutlich: Medial ist er sehr präsent – ob am Küchentisch oder in Interviews. Er pocht zudem auf ein TV-Triell mit Kanzler Olaf Scholz (SPD) und Unionskanzlerkandidat Friedrich Merz (CDU). In seinem Mitte Januar erschienenen Buch “Den Bach rauf” versucht er sich staatsmännisch an einer Kursbestimmung.

Zur Politik kam Habeck, 1969 in Lübeck geboren, vergleichsweise spät. Mitglied der Grünen wurde er erst 2002 mit Mitte 30 – nach Zivildienst, Studium der Germanistik, Philosophie und Philologie in Hamburg, Freiburg und Dänemark sowie einer literaturwissenschaftlichen Doktorarbeit. Seine politische Karriere verlief dafür umso steiler: 2004 wurde er Landeschef der Grünen in Schleswig-Holstein, 2009 Fraktionschef im dortigen Landtag, 2012 Vize-Ministerpräsident und Landesagrarminister, 2018 gemeinsam mit Annalena Baerbock Vorsitzender der Bundespartei.

Bei der Wahl 2021 traten die beiden Grünen-Chefs als Spitzen-Duo an, wobei Habeck Baerbock den Vorzug als erste Kanzlerkandidatin der Parteigeschichte gab. Den vermeintlichen Elfmeter verwandelte die spätere Außenministerin dann zwar nicht, doch die Grünen traten in die Regierung mit SPD und FDP ein.

Dass Habeck zu den prägenden Köpfen der Ampel gehörte, könnte im aktuellen Wahlkampf eine Hypothek darstellen. Doch auch Olaf Scholz und FDP-Chef Christian Lindner treten als Spitzenkandidaten ihrer Parteien an. Und anders als die beiden hat Habeck nach dem Ampel-Aus weniger nachgetreten. In Politiker-Beliebtheitsrankings steht er deutlich besser da.

Als Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz stand Habeck in den vergangenen Jahren oft im Fokus. Den Umgang mit den Energiesorgen nach dem russischen Angriff auf die Ukraine kann er wohl als Erfolg verbuchen. Dass Deutschland derzeit in einer Rezession steckt, ist für die Opposition hingegen eine Steilvorlage, um ihn anzugreifen. Und dass das sogenannte Heizungsgesetz zum öffentlichen Desaster geriet und – wie auch das Gebaren der Ampel insgesamt – zu einem Vertrauensverlust führte, räumt Habeck selbst ein.

Im vergangenen Sommer habe er sich gefragt, ob er noch einen sinnvollen Beitrag leisten könne oder aufhören sollte mit der Politik, sagte Habeck zum Jahresbeginn dem “Spiegel”. Er entschied sich fürs Weitermachen. Über die drei Ampel-Jahre sprach der Kanzlerkandidat zuletzt als “Jahre der Härtung”. Das Lied “Du, lass dich nicht verhärten” von Wolf Biermann sei sein politisches Lebensmotto für diese Zeit. Habeck gibt sich gerne nahbar, pflegt sein Kumpel-Image.

Öffentliches Räsonieren gehört zu seinen Markenzeichen, genauso wie das Erklären von Politik oder die Schaubilder, die Habeck bei Pressekonferenzen bisweilen zeigt. Er ist ein Mann des Wortes: Vor seinem Politikerleben veröffentlichte er als freier Schriftsteller mit seiner Frau – gemeinsam haben sie vier Söhne – Romane und Kinderbücher. Die Universität Tübingen würdigte 2023 sein Internetvideo gegen Antisemitismus in Deutschland als “Rede des Jahres”.

Habeck wird dem sogenannten Realo-Flügel der Grünen zugerechnet. Er ist für mehr Klimaschutz und die Energiewende, zeigt sich aber kompromissbereit. Ende vergangenen Jahres unterschrieb er den vor allem von Grünen und SPD-Abgeordneten erarbeiteten Gesetzentwurf zur Liberalisierung der Abtreibungsregelungen, bei dem es in den verbleibenden Wochen der Legislaturperiode voraussichtlich nicht mehr zur Abstimmung kommen wird.

Nach seinem Glauben gefragt, sagt Habeck, das Christentum habe ihn “tief geprägt”, inzwischen sei er aber ein “säkularer Christ”. Er habe sich im Laufe der Zeit vom Glauben entfernt, nachdem er sich im Studium mit philosophischen Gottesbeweisen beschäftigt habe, erzählte er einmal in einem Interview. Er teile aber weiter die Werte des Christentums.