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“Die Bürokratie ist Wahnsinn”

Krankenhäuser in Baden-Württemberg sollen effizienter werden. Vergangene Woche informierte das Sozialministerium bei Regionalgesprächen in Karlsruhe, Tübingen, Freiburg, Stuttgart, Heidelberg und Ulm die Kliniken über die neue Krankenhausplanung im Südwesten. Im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) erläutert das Vorstandsmitglied des Deutschen Evangelischen Krankenhausverbandes (DEKV) und Geschäftsführer des Diakonie-Klinikums Stuttgart, Bernd Rühle, das den Plänen zugrunde liegende Gutachten der Landesregierung.

epd: Herr Rühle, was besagt die Bestandsaufnahme hinsichtlich der Krankenhauslandschaft in Baden-Württemberg?

Rühle: Das Gutachten bestätigt, dass die Strukturen im Land gut und effizient sind. Das Sozialministerium führt das darauf zurück, dass hier in der Vergangenheit bereits vieles bereinigt wurde, so dass keine zu gravierenden Einschnitte in Baden-Württemberg zu erwarten sind.

epd: Das Gutachten enthält auch Handlungsempfehlungen. Können Sie einige davon nennen?

Rühle: Es geht darum, die Krankenhausleistungen noch mehr zu konzentrieren. Das Gutachten empfiehlt, dass bestimmte Versorgungsangebote immer in einer Region verfügbar sein sollen, bei anderen Angeboten aber eine längere Fahrtzeit durchaus vertretbar sein kann. Als Beispiel kann man die Endoprothetik nennen: Ein künstlicher Gelenkersatz kann gut geplant werden und in einer weiter entfernt gelegenen, spezialisierten Klinik erfolgen.

epd: Welche großen Veränderungen kommen in den nächsten Jahrzehnten auf uns zu?

Rühle: Der medizinische Fortschritt ermöglicht immer mehr eine ambulante medizinische Versorgung ohne einen stationären Aufenthalt in einer Klinik. Auf diese sogenannte Ambulantisierung muss sich das gesamte Gesundheitssystem einstellen. Es genügt also nicht, nur ambulant zu behandeln. Auch andere Dienste müssen außerhalb der Klinik verfügbar sein. Wenn bei uns ein Patient stationär behandelt wird, bekommt er beispielsweise Physiotherapie auf der Station. Die muss er ambulant ebenfalls erhalten, und der Physiotherapeut muss den Patienten aufsuchen. Das ist momentan nur sehr eingeschränkt möglich. Hier muss sich das System anpassen.

epd: Das Gutachten empfiehlt unter anderem den Abbau von Klinikbetten und fordert eine bessere Auslastung. Wie passt das zu der Tatsache, dass vielfach Betten wegen Personalmangels geschlossen werden, also nicht, weil es zu wenige Patienten gibt?

Rühle: Das kann ich so allgemein nicht bestätigen. Bei uns im Diakonie-Klinikum Stuttgart sind alle Betten verfügbar, und wir haben eine größere Nachfrage als freie Plätze. Es wird beide Fälle geben: die, wo das Angebot größer ist als die Nachfrage und die, wo Betten wegen Personalmangels zu sind. Die Dauer der Krankenhausaufenthalte, die sogenannte Verweildauer, verkürzt sich immer mehr. Das heißt auch, dass man pro Bett mehr Patienten braucht, um das Bett auszulasten. Dann haben wir eine Belegungskurve, nicht an allen Tagen arbeitet das Krankenhaus gleich. Samstag und Sonntag wird in der Regel nur Notfallversorgung gemacht. Da muss man fragen, unter welchen Bedingungen ein höherer Auslastungsgrad realistisch erreichbar ist. Wenn ich eine höhere Verweildauer habe, habe ich automatisch eine höhere Auslastung.

epd: Das medizinische und pflegerische Personal arbeitet teilweise an der Belastungsgrenze. Was sagt das Gutachten dazu?

Rühle: Wenn ich auf unser Haus schaue, haben wir heute pro belegtem Bett mehr Personal, als wir je hatten. Gleichzeitig ist die Behandlung in der kurzen Verweildauer intensiver denn je. Die Belastung ist also durchaus hoch. Es ist aber tatsächlich so, dass es aufgrund der Demografie schwer sein wird, die Personalstände, die wir heute haben, aufrechtzuerhalten. Und ich will ergänzen, dass die gesetzlichen Vorgaben die Menschen teilweise mit unsinnigen Aufgaben beschäftigen. Die Bürokratie, die bei uns Einzug gehalten hat und Ärzte und Pflegekräfte vom Patienten fernhält, ist Wahnsinn. Es gibt genügend Gutachten, die belegen, wie viel Arbeitszeit für Dinge aufgewendet wird, die nichts mit dem Patienten zu tun haben. Das müsste dringend reformiert werden.

epd: Der Abbau von Bürokratie ist ja eines der Themen des Gutachtens. Kann sich Baden-Württemberg hierbei von der Krankenhausreform des Bundes, die ja lange für Kritik gesorgt hat und Ende vergangenen Jahres beschlossen wurde, freimachen?

Rühle: Das ist schwer vorherzusagen. Das Bundesgesetz, das den Rahmen für die Krankenhausplanung im Südwesten vorgibt, enthält neue Prüfkriterien. Da werden etwa neue Personalbemessungsgrenzen auch für nichtmedizinische Berufe aufgeführt. Das kann dazu führen, dass belegt werden muss, wo wie viel Personal eingesetzt wird und dadurch neue Nachweispflichten entstehen. Es bleibt am Ende die spannende Frage, ob die vielen Vorgaben ein neues Bürokratiemonster mit sich bringen. Das wird die neue Bundesregierung zu entscheiden haben. (0114/19.01.2025)