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Alle fünf Jahre zur Urne?

Die Politiker leisten alles in allem anständige Arbeit, meint Martin Dutzmann. Wenn es mehr Zusammenarbeit gäbe und längere Wahlperioden, könnte aber manches (noch) besser laufen

Martin Falbisoner

In den vergangenen Monaten war die Berliner Dienststelle der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) gefordert wie selten. Kritisch blicken dort Juristen und Theologen auf das politische Geschehen. Mit dem Leiter, dem EKD-Bevollmächtigten Martin Dutzmann, sprach Corinna Buschow über die Flüchtlingspolitik, den anstehenden Wahlkampf, Empfehlungen für die Bundespräsidentenwahl und über den Umgang der Kirchen mit der AfD.

Herr Dutzmann, im Sommer 2015 gab es einen großen Andrang von Flüchtlingen nach Deutschland und große Hilfsbereitschaft. Was bleibt davon ein Jahr später?
Große Hilfsbereitschaft gibt es Gott sei Dank immer noch. Aber es ist auch Ernüchterung eingekehrt. Momentan kommen weniger Flüchtlinge – aber nicht, weil das Problem gelöst wäre. Die Balkanroute ist dicht. Die Vereinbarung mit der Türkei führt zu einem Stau von Schutzsuchenden in Griechenland. Die Menschen kommen über gefährlichere Wege. Viele Flüchtlinge sterben wieder im Mittelmeer.

2016 ist die AfD in weitere Länderparlamente eingezogen, die Rechtskonservativen sind in Europa im Aufwind. Hat man sich mit dem „Wir schaffen das“ der Bundeskanzlerin, das auch die Kirchen sehr unterstützten, übernommen?
Ich glaube immer noch, dass wir das schaffen können. Wir sind ein reicher Kontinent.

In der deutschen Flüchtlingspolitik hat sich inzwischen viel getan. Wie ist Ihre Bilanz nach einem Jahr?
Gut ist, dass jetzt viel für eine schnellere Integration getan wird. Wir sehen aber auch, dass die Regelungen im Integrationsgesetz und den Asylpaketen insgesamt von einem Gestus der Abwehr geprägt sind. Ganz eklatant ist dies bei den angedrohten Sanktionen für sogenannte Integrationsverweigerer. Es werden Integrationsleistungen gefordert, für die vielerorts schlicht die Möglichkeiten nicht vorhanden sind. Unsere Fachleute in der Flüchtlingshilfe sagen, dass die Ankommenden in der überwiegenden Mehrzahl geradezu heißhungrig darauf sind, die deutsche Sprache zu lernen, zu arbeiten, mitzutun.

Pro Asyl sieht eine Kehrtwende in der Politik der Kanzlerin. Sie auch?
Ich glaube nicht, dass die Bundeskanzlerin im vergangenen Sommer der Auffassung war, wir könnten die ganze Welt retten. Sie hat in einer konkreten Notsituation das Notwendige getan. Was ihre heutige Flüchtlingspolitik betrifft, sehen wir die Vereinbarung zwischen der EU und der Türkei kritisch.

Die gesunkenen Flüchtlingszahlen entspannen derzeit die Situation in deutschen Aufnahmeeinrichtungen. Entspannt die Kirche als Träger vieler Einrichtungen auch?
Nein, denn der Preis dafür ist hoch. Menschen werden in Griechenland festgehalten und in die Türkei zurückgeführt. Wenige Flugstunden von hier entfernt ertrinken weiter Flüchtlinge im Mittelmeer. Damit können wir uns nicht abfinden.

Als hässliche Kehrseite der Willkommenskultur zeigen sich eine erstarkende rechte Szene und vermehrte Fremdenfeindlichkeit. Haben Sie eine Erklärung für den Hass?
Ich möchte hier differenzieren: Natürlich gibt es Hass. Es gibt aber auch viele Menschen, die eher Angst haben, zu kurz zu kommen, oder mühsam erarbeiteten Wohlstand abgeben zu müssen.

Wie geht die evangelische Kirche mit Vertretern der rechtskonservativen Partei AfD um?
Am Kirchentag 2017 werden Menschen teilnehmen, die Mitglieder der Kirche und der AfD sind. Ich glaube, wir sind gut beraten, die Vertreter der AfD zu Wort kommen zu lassen und deren merkwürdige Vorstellung von christlichem Abendland öffentlich zu hinterfragen. Jede menschenfeindliche Äußerung werden wir scharf kritisieren. Was wir nicht wollen und nicht können, ist AfD-Mitgliedern bei Wahlen zu kirchlichen Gremien eine Kandidatur zu untersagen.

In Diskussionen stellen – gilt das auch in Ihrem EU-Büro in Brüssel, wo die AfD im Parlament sitzt, oder für die Berliner Dienststelle, sollte die AfD nächstes Jahr in den Bundestag einziehen?
Die EKD wird die Auseinandersetzung mit der AfD suchen, wo sie geboten ist. In manchen Landeskirchen geschieht das bereits.

Sie sind seit knapp drei Jahren Bevollmächtigter der EKD in Berlin und Brüssel. Was haben Sie über die Politik gelernt?
Ich habe großen Respekt vor all den Menschen, die Kraft und Lebenszeit für das Gemeinwohl einsetzen. Die Bedingungen sind dabei nicht so, dass man als Bürger neidisch werden müsste. Viele ernsthafte Diskussionen hinterlassen bei mir den Eindruck: Unser demokratischer Rechtsstaat ist in einem guten Zustand.

Und was stößt bei Ihnen auf Unverständnis?
Mir fehlt bei wichtigen Themen die Kohärenz. Mehrere Ministerien beschäftigen sich beispielsweise mit ziviler Krisenprävention. Da gibt es nach meiner Wahrnehmung zu wenig Abstimmung. Nicht genügend gesehen wird in meinen Augen insbesondere der Zusammenhang zwischen Krisenprävention und Rüstungsexporten. Dabei ist die Bekämpfung von Fluchtursachen erklärtes Ziel der Bundesregierung. Wie können die Ministerien besser zusammenarbeiten? Die jetzige Praxis ist noch nicht optimal, obwohl viele Ressourcen eingesetzt werden. Ein Pro­blem sehe ich auch bei den vergleichsweise kurzen Wahlperioden.

Auf wie viel Jahre würden Sie die Zeit erhöhen?
Bundestagspräsident Norbert Lammert hat fünf Jahre ins Gespräch gebracht. Das wäre auch aus meiner Sicht vernünftig. Man hätte mehr Zeit, sachorientiert an den Themen zu arbeiten. Es gibt ja immer wieder zwischendurch auch Landtagswahlen, die einiges an Sacharbeit verhindern. Notwendige Reformschritte unterbleiben dadurch.

Sollte man die Wahlen dann auch gleich zusammenlegen?
Darüber könnte man nachdenken. Zumindest einen Teil der Landtage könnte man zusammen mit dem Bundestag wählen lassen.

Was erwarten Sie im letzten Jahr dieser Wahlperiode noch von der großen Koalition?
Die Flüchtlingspolitik bleibt natürlich das bestimmende Thema. Wichtig sind aus kirchlicher Sicht auch die Medikamententests an nicht einwilligungsfähigen Erwachsenen. Nachdem die Abstimmung darüber schon zwei Mal verschoben wurde, hoffen wir auf eine vertiefte Debatte im Parlament.

Wenn Sie drei Wünsche im Blick auf den Wahlkampf frei hätten: Welche Themen sollten die Agenda prägen – und welche vielleicht gerade nicht?
Zunächst würde ich mir wünschen, dass das Thema Zuwanderung nicht für den Wahlkampf instrumentalisiert wird, denn dieses Thema muss fair und ohne Ressentiments angegangen werden. Ähnlich sieht es aus im Blick auf den Zusammenhalt in Europa – das Thema muss unbedingt angegangen werden, ist aber für den Wahlkampf ungeeignet. Aus meiner Sicht könnten die Themen soziale Gerechtigkeit und die demographische Entwicklung eine Rolle spielen. Es müssen Antworten erkennbar werden darüber, wie die Sozialsysteme weiter zu entwickeln sind, damit die ältere Generation gut leben kann, und die Jungen nicht überfordert werden.

Beim Brexit in Großbritannien rebellierte die junge Generation gegen die ältere, weil sie sich von ihr bestimmt fühlte. Droht auch hier ein Generationenkonflikt?
Schon heute befürchten viele Menschen, im Alter keine auskömmliche Versorgung mehr zu haben. Wenn jetzt auf Kosten der Jüngeren langfristige Entscheidungen getroffen werden, birgt das Konfliktstoff. Da werden wir auch in der anstehenden Rentendebatte genau hinsehen.

Erwarten Sie, dass die Bundespräsidentenwahl den Wahlkampf sehr überlagert?
Ich würde mir wünschen, dass nicht danach geschaut wird, welches politische Signal von der Person ausgeht. Es geht um das höchste Staatsamt. Es sollte nach einer Persönlichkeit gesucht werden, die das Amt gut ausfüllen kann und das Vertrauen der Bevölkerung hat.

Hätten Sie einen Vorschlag?
Ich werde mich hüten.

Mit Bundespräsident Joachim Gauck und Kanzlerin Merkel stehen derzeit zwei Protestanten an der Spitze der Bundesrepublik. Wären Sie enttäuscht, wenn das nach den Wahlen 2017 anders ist?
In der Geschichte der Bundesrepublik haben Protestanten und Katholiken höchste Staatsämter in hervorragender Weise ausgefüllt.