Artikel teilen:

Zwischen Zustimmung und Sorge – Kirchen zum Koalitionsvertrag

Koalitionsvertrag auf dem Prüfstand: Kirchen und kirchliche Gruppen zeigen sich überwiegend zufrieden mit dem neuen Papier von Union und SPD – trotz einiger Kritikpunkte. Was ihnen wichtig ist und wo sie warnen.

Die Kirchen und kirchlichen Akteure im politischen Umfeld haben weitgehend positiv auf den vorgelegten Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD reagiert. Zum einen erfüllt er Forderungen, die den Kirchen wichtig waren: zum Beispiel den Erhalt eines eigenständigen Entwicklungsministeriums und eines Beauftragten der Bundesregierung für weltweite Religions- und Weltanschauungsfreiheit. Beides hatte zur Disposition gestanden. Zum anderen wird an anderen neuralgischen Punkten nicht gerüttelt: eine Liberalisierung der Abtreibungsregelung ist erstmal vom Tisch, auch die bestehenden Regelungen zu Sterbehilfe und historischen Staatsleistungen tasten Union und SPD in ihrem 144 Seiten langen Papier nicht an.

Die katholische Deutsche Bischofskonferenz wie die Evangelische Kirche in Deutschland begrüßten, dass sich die Koalitionäre letztlich doch sehr zügig geeinigt hätten. Obwohl freilich noch die offizielle Billigung durch CDU und SPD aussteht; von der CSU gab es bereits grünes Licht. “Angesichts der aktuellen politischen Situation braucht Deutschland dringend eine handlungsfähige Regierung. Für diese Handlungsfähigkeit sind wir alle dazu aufgerufen, der neuen Regierung einen Vertrauensvorschuss zu gewähren”, sagte der Leiter des Katholischen Büros in Berlin, Prälat Karl Jüsten, auf Anfrage. Es gehe um immense Aufgaben, bei denen Wohl und Würde der Menschen im Blick behalten werden müssten. Die katholische Kirche werde die Umsetzung des Koalitionsvertrags “aktiv und konstruktiv begleiten”.

Den Kirchen an sich widmen die Koalitionäre in ihrem Papier nur wenige Zeilen; aber auch der Passus zum Judentum ist schmal und muslimisches Leben kommt praktisch nicht vor. “Zu Recht würdigt der Koalitionsvertrag den Beitrag, den die Kirchen und andere Religionsgemeinschaften zum gesellschaftlichen Zusammenhalt leisten. Gemessen an der Länge des Vertrages und der Würdigung anderer Lebensbereiche ist das auf etwas knappe Weise geschehen”, sagte die Bevollmächtigte der Evangelischen Kirche beim Bund, Prälatin Anne Gidion, auf Anfrage. “Wir wissen aber, dass die Parteien, die in Zukunft die Regierung stellen wollen, eine grundsätzlich sehr wohlwollende Haltung zur Religionsausübung und zum bewährten Religionsverfassungsrecht haben.”

Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) sieht im Koalitionsvertrag “mehr innere Sicherheit, Wirtschaftsförderung und Investitionen in eine gerechte und vielfältige Gesellschaft”. Wirtschaftsförderung – von der künftigen Regierungskoalition ganz vorn platziert und mit einem “Investitionsbooster” angekündigt – sei gut und richtig. “Wenn dem allerdings Errungenschaften wie das deutsche Lieferkettengesetz geopfert werden sollen, ist das keine Zukunftsmarke”, mahnte ZdK-Präsidentin Irme Stetter-Karp.

Besorgt äußerte sie sich auch zur schärferen Gangart in der Migrationspolitik: “Der künftige Kanzler spricht von einer Rückführungsoffensive, dem Ende aller freiwilligen Aufnahmeprogramme und von einem Aussetzen des Familiennachzugs. Das sind keine Botschaften eines Einwanderungslandes.” Diese Großbaustelle dürfte wohl in den kommenden Monaten der größte Streitpunkt zwischen Kirchen und Bundesregierung werden.

Der Jesuiten-Flüchtlingsdienst in Deutschland etwa bezeichnete die Pläne als “Desaster mit Ankündigung”. Der angekündigte Politikwechsel bestehe “aus einem massiven Abbau rechtsstaatlicher Garantien für Schutzsuchende – und ansonsten aus Kraut und Rüben in der Migrationspolitik”, so der Leiter der Organisation, Stefan Keßler. Mit den Kontrollen an den deutschen Grenzen werde europäisches Recht verletzt und zugleich die Inanspruchnahme des Asylrechts eingeschränkt. Ähnliches gelte für die geplante Ausweitung der Liste sicherer Herkunftsländer. “Kein einziges reales Problem wird gelöst, stattdessen wird der Zusammenhalt in unserer Gesellschaft durch die Ausgrenzung von Flüchtlingen und Migranten aufs Spiel gesetzt.”

Der geplante künftige Umgang der Bundesregierung mit Ausfuhren von Waffen und anderen Rüstungsgütern stieß wiederum auf Kritik bei Pax Christi. Ein Dorn im Auge ist der katholischen Friedensinitiative vor allem, dass Rüstungsexporte auch an Interessen der Wirtschaftspolitik ausgerichtet werden sollen. Die künftige Bundesregierung habe “auch eine Verantwortung für die Menschen, die potenziell Opfer deutscher Rüstungsgüter im Ausland sind”.

Der Theologe und ZdK-Vizepräsident Thomas Söding hat durchaus Fragen an den Koalitionsvertrag: “Sind die Impulse für eine qualitative Wirtschaftsreform stark genug? Schafft der Staat den Bürokratieabbau, ohne rechtliche Standards zu senken? Reicht der Impuls für die öko-soziale Transformation? Braucht Migration nicht mehr statt weniger Europa? Ist die Integration klar genug im Blick?” Doch seiner Einschätzung nach sind Union und SPD handlungs- und kompromissfähig: “Jetzt zählt das Handeln. Ethisch fundiert muss es sein, moralisieren darf es nicht. Politik braucht die Bergpredigt: ‘An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen.'”