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Zwischen Startup-Chance und Startup-Wüste – auf Spurensuche im Osten

Trotz wirtschaftlicher Krisenstimmung wächst die deutsche Startup-Szene. In Ostdeutschland zeigt sich jedoch ein gemischtes Bild mit großen Unterschieden. Eine Spurensuche.

Die Wirtschaft schwächelt, der Gründergeist lebt: 2024 wurden bundesweit 2.766 Startups gegründet. Laut Startup-Verband ist es der zweithöchste Wert innerhalb von sechs Jahren. Doch es gibt deutliche regionale Unterschiede. Während in den ostdeutschen Ländern nur 203 Startups entstanden, verzeichneten die Startup-Hochburgen Berlin, Nordrhein-Westfalen und Bayern über 1.500 Neugründungen. Auch eine Verbandsumfrage unter 1.828 Startups bestätigt ein Ost-West-Gefälle: In Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern haben die wenigsten Startups ihren Sitz.

Lena Pieper, Mitgründerin des Startups FreeMom aus dem thüringischen Gerstungen, hat sich mit ihrer Geschäftspartnerin ganz bewusst für den Standort entschieden, wie sie sagt. Dabei lebe sie selbst in Nordrhein-Westfalen. Thüringen habe sie mit Förderprogrammen und einer “positiven Willkommenskultur” für Startups überzeugt: “Seit dem ersten Kontakt wurden wir dort sehr unterstützt. Das war eine ganz andere Erfahrung als in Westdeutschland.”

Ihre Idee einer Freelancer-Plattform speziell für Mütter und familienfreundliches Arbeiten habe sie von anderen geförderten Gründern abgehoben, erinnert sich Pieper. “Anfangs wurden wir als die Muttis abgestempelt. Wir waren das einzige weibliche Gründungsteam und wollten kein technologieorientiertes Startup im Bereich Chemie oder Optik aufbauen.” Dieser “Realitätscheck” habe FreeMom aber auch Aufmerksamkeit verschafft. Diese gipfelte 2023 in der TV-Sendung “Höhle der Löwen” und einer Investition von 250.000 Euro. Inzwischen bereitet das Startup nach eigenen Angaben die nächste Investitionsrunde und eine Ausweitung seines Angebots in europäische Länder vor.

Nachholbedarf sieht Pieper beim Thema Finanzierung in Thüringen: “Es fehlt eine Investitionskultur wie in Westdeutschland. Erfolgreiche Thüringer Unternehmer investieren noch nicht ausreichend in Startups vor Ort.” Auch Hans Elstner, Sprecher der Landesgruppe Thüringen des Startup-Verbands und selbst Gründer, sieht strukturelle Nachteile: “Für Business Angels in Thüringen ist ein Investment von 50.000 bis 100.000 Euro hoch, in Westdeutschland wird hingegen auch mal bis zu einer Million investiert.” Business Angels sind Einzelpersonen, die Gründer früh mit privatem Vermögen und Wissen unterstützen. Professionelle Investoren, die trotz höheren Risikos in junge, innovative Firmen investieren, müssten ostdeutsche Startups typischerweise anderswo suchen, sagt Elstner. “Das Glück liegt eher in der Ferne.”

2024 erhielten in Thüringen nur drei und in Sachsen-Anhalt vier Startups eine Finanzierung – bundesweit die niedrigsten Werte, wie das Startup-Barometer des Wirtschaftsprüfers EY zeigt. Zum Vergleich: Ostdeutschlands Spitzenreiter Sachsen sammelte in 18 Fällen Kapital ein, in Berlin und Bayern waren es 385. Dennoch sieht Verbandsprecher Elstner klare Vorteile in Ostdeutschland: Neben Förderprogrammen gebe es etwa in Thüringen und Sachsen eine starke Forschungslandschaft. Niedrigere Lebenshaltungskosten ermöglichten es Startups, mit weniger finanziellen Mitteln auszukommen. “Ich sehe sehr viel Anpackmentalität und Pragmatismus im Osten”, sagt er.

Weniger optimistisch beurteilt der Ökonom Alexander Kritikos vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung die Lage in Ostdeutschland. Ein starkes Innovationsumfeld sei essenziell für Startups – dazu gehörten auch geballte Wissenslandschaften in Form von Universitäten und Forschungsinstituten. Im Osten gebe es schlicht weniger davon. “Leipzig, Dresden und Jena sind in meinen Augen die einzigen ostdeutschen Städte mit Innovationsfähigkeit”, sagt Kritikos.

Auch politisch passiere ihm zu wenig: “Förderprogramme werden die Lücke zwischen Ost und West nicht schließen.” Die gesamtdeutsche Startup-Szene benötige sehr gute institutionelle Rahmenbedingungen, von der Forschung bis zur Finanzierung, um einzelne Regionen so attraktiv wie möglich zu machen. Dafür müsse sich Deutschland “vom besten Innovationsumfeld der Welt inspirieren lassen – dem Silicon Valley”.