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Zentralrat veröffentlicht kritisches Gutachten zu Homolka

Der Rabbiner Walter Homolka war jahrzehntelang ein führender Kopf des liberalen Judentums nicht nur in Deutschland. Dann kamen Vorwürfe auf, die er zurückwies. Details liefert jetzt ein Gutachten.

Monatelang schlugen die Vorwürfe gegen den Berliner Rabbiner Walter Homolka hohe Wellen im In- und Ausland. Denn er war weit über die jüdische Gemeinschaft in Deutschland hinaus ein prominenter Akteur des liberalen Judentums. Ihm wurden Machtmissbrauch und andere Verfehlungen zur Last gelegt. Vehement bestritt Homolka die Vorwürfe.

Zuletzt war es in der Öffentlichkeit eher still um ihn geworden. Am Mittwoch nun legte der Zentralrat der Juden in Deutschland sein angekündigtes ausführliches Gutachten vor – mehr als 800 Seiten. Gegen die vorläufigen Ergebnisse im Dezember 2022, der “Executive Summary”, waren Homolka und seine Anwälte juristisch vorgegangen. Und auch anderweitig wehrte sich Homolka vor Gericht gegen Vorwürfe.

Das Gutachten der Kölner Kanzlei Gercke Wollschläger bekräftigt jetzt Anschuldigungen. Es enthält 80 Interviews mit 74 Menschen, die meist negative Erfahrungen schildern; zudem Stellungnahmen des Rabbiners und seines Lebensgefährten, in denen sie Vorhaltungen von sich weisen.

Untersucht hatte die Kanzlei unter anderen die Ausbildungsstätten für Rabbinerinnen und Rabbiner in Potsdam, das Abraham-Geiger-Kolleg und das Zacharias-Frankel-College. Homolka war Gründer und lange Zeit Rektor des liberalen Geiger-Kollegs. Unter die Lupe genommen wurde etwa auch die Union progressiver Juden in Deutschland, deren Vorstandsvorsitzender Homolka war.

Das Gutachten listet konkrete Aussagen aus den Interviews auf und beschreibt anhand von 23 Beispielen Vorwürfe gegen den Rabbiner und dessen Lebensgefährten, etwa im Bereich des Machtmissbrauchs. Es geht auch um etwaiges Fehlverhalten gegenüber Studierenden und sonstigen Angehörigen verschiedener jüdischer Einrichtungen.

Homolka sprach in einer schriftlichen Stellungnahme gegenüber der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) von einer “Kampagne” des Zentralrats. “Es ist beschämend, dass der Zentralrat mit seinem Endbericht den Eindruck erwecken will, hier sei irgendetwas bewiesen worden.” Übrig blieben “diffuse Mutmaßungen über vermeintlichen Machtmissbrauch, die unstreitig unterhalb der straf- oder disziplinarrechtlichen Schwelle liegen und für die es nur anonyme Hinweisgeber und Hörensagen gibt”.

Zentralratspräsident Josef Schuster erklärte dagegen: “Insgesamt ist deutlich geworden, dass Machtmissbrauch nicht kleingeredet werden darf. Derartige Verdachtsfälle müssen konsequent und öffentlich aufgearbeitet werden. Nur so werden wir die nötige Sensibilisierung für den Umgang mit problematischen Strukturen, Verhaltensweisen und Machtgebaren herstellen.” Und: “Der Mut der Betroffenen verdient größten Respekt.” Homolka habe in jüdischen Organisationen und Institutionen seinen Einfluss größtenteils verloren.

Nach dem öffentlichen Bekanntwerden der Vorhaltungen im Frühjahr 2022 hatte Homolka etliche Ämter in der jüdischen Gemeinschaft zunächst ruhen lassen. Er zog sich schrittweise auch von Spitzenämtern zurück.

Als Ursachen von möglichem Fehlverhalten macht das Gutachten unter anderen eine Häufung von Ämtern und auch strukturelle Probleme aus. Für die Gutachter ist klar, was sich verbessern muss, damit sich etwas ändert. Sie empfehlen in den untersuchten Einrichtungen zum Beispiel, sogenannte Compliance-Strukturen mit einer klaren Definition von Werten zu schaffen und diese einzuhalten. Macht und Kontrolle sollten begrenzt, Transparenz geschaffen und Fehlverhalten nicht geduldet werden. Auch könne es sinnvoll sein, bestehende Strukturen aufzubrechen.

Der Fall Homolka löste zudem eine Krise über die künftige Struktur der Ausbildung von liberalen und konservativen Rabbinerinnen und Rabbinern am Standort Potsdam aus. Im Januar gab die Jüdische Gemeinde zu Berlin bekannt, dass sie die Trägerschaft für die beiden An-Institute der Universität Potsdam, das Abraham-Geiger-Kolleg und das Zacharias-Frankel-College, übernimmt.

Dies hatte der Zentralrat kritisiert. Er ist gemeinsam mit dem Bundesinnenministerium, dem Brandenburger Forschungsministerium und der Kultusministerkonferenz Zuwendungsgeber. Ein Jurist hatte im Auftrag des Zentralrats Eckpunkte verfasst. Darin wird ein Stiftungsmodell vorgeschlagen.

Wie es aber bei den beiden wichtigen und prestigeträchtigen Kollegs konkret weitergehen soll, ist bis jetzt nicht bekannt.