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“Inside BSW”: ZDF-Serie begleitet Sahra Wagenknecht

Seit Sahra Wagenknecht Anfang 2024 ihre nach ihr benannte Partei gegründet hat, wird sie von den Medien eng begleitet. Das ZDF ließ die Politikerin besonders nah ran.

Sahra Wagenknecht pendelt zwischen ihrem Wohnort im Saarland und Berlin
Sahra Wagenknecht pendelt zwischen ihrem Wohnort im Saarland und BerlinZDF / Thomas Riedel

“Bei uns ist ja nur noch die Messlatte, ob es ein großer Erfolg oder ein gigantischer Erfolg wird”, sagt Sahra Wagenknecht ganz ungeniert am Abend der Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen. Und irgendwie hat sie ja recht. Wer ist diese Frau, die mit ihrer offiziell erst im Januar gegründeten Partei Königsmacherin der deutschen Landespolitik wurde?

Auf jeden Fall nicht die “Frau aus dem Nichts”, wie es in “Inside Bündnis Wagenknecht” heißt. Für die fünfteilige ZDF-Mediathek-Doku hat Sahra Wagenknecht die ZDF-Autorinnen Christiane Hübscher und Andrea Maurer nah herangelassen. An die schon in der Luft liegende Spaltung der Linken im Herbst 2023, den Aufbau der neuen Organisation, die ersten Gehversuche und die Erfolge bei den ersten Wahlen – von der Europawahl im Juni bis zur Landtagswahl Mitte September in Brandenburg.

“Inside Bündnis Wagenknecht” spricht für sich

So nah, dass man sich unwillkürlich fragt, ob und welche Bedingungen es für diese Nahsicht gegeben hat. Wie immer sie ausgefallen sein mögen: “Inside Bündnis Wagenknecht” spricht für sich und zeigt das BSW als Kaderpartei einer Frau, die natürlich nicht aus dem Nichts kam. Sondern seit über 30 Jahren von der PDS bis zur Linken Führungsfunktionen innehatte und Politik gemacht hat. An ihrer Seite: Oskar Lafontaine, einer der taktisch wohl gewieftesten deutschen Politiker der Nachkriegszeit, mit dem Wagenknecht seit 2014 verheiratet ist.

Ikonographisch wirkt da ein Foto, das Wagenknecht und Lafontaine nach der Europawahl auf der Rückbank ihres Wagens zeigt, mit einem ein bisschen eingequetscht wirkenden Klaus Ernst in der Mitte. Auch der Gewerkschafter und Gründer der Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit (WASG), die 2007 mit der PDS/Linkspartei zur heutigen Linken verschmolz, gehört zu den langjährigen Weggefährten Wagenknechts. Gemeinsam zelebrieren die drei die ersten Prognosen nach Schließung der Wahllokale, die sie auf Lafontaines Handy verfolgen.

Europa hat gewählt (v.l.): Oskar Lafontaine, Klaus Ernst und Sahra Wagenknecht auf dem Weg zur BSW-Wahlparty
Europa hat gewählt (v.l.): Oskar Lafontaine, Klaus Ernst und Sahra Wagenknecht auf dem Weg zur BSW-WahlpartyZDF / Thomas Riedel

Die fünf je halbstündigen Folgen zeichnen den Weg des BSW dabei nicht nur aus der unmittelbaren Beobachtung Wagenknechts nach, sondern lassen neben ihr und ihrem unmittelbaren Umfeld auch andere zu Wort kommen. Da sind unbedingte Fans, die ihr im Herbst 2023 im Volkshaus Jena bei einer Lesung mit Standing Ovation zujubeln. Aber auch die Kritiker, von der Linken-Ikone Gregor Gysi bis zur stellvertretenden “Spiegel”-Chefredakteurin Melanie Amann, die Wagenknecht vorwirft, dass sie schon bei Kernfragen wie dem Verhältnis des BSW zur AfD “an die Grenzen der Wahrheit stößt”.

Was unmissverständlich klar wird: Die Frau, die morgens nach eigener Aussage nur ganze zehn Minuten braucht, um sich in die Medienikone Sahra Wagenknecht mit Kleid und Hochsteckfrisur zu verwandeln, setzt auf ultimative Kontrolle.

Wagenknechts Erfolg gekoppelt an “Politikverachtung”

Noch bis zu den Landtagswahlen und damit dem Ende der Doku haben die Landesverbände des BSW nur wenige Mitglieder, es gelten Aufnahmestopps. Wagenknecht begründet das mit der Notwendigkeit, Interessenten genau zu prüfen, damit salopp gesagt kein falsches Volk Mitglied wird. “Ob es uns gelingt, die reinzuholen, die solide und ehrlich sind und die rauszuhalten, die das Ganze torpedieren würden, die Frage kann man erst beantworten, wenn man auf dem Weg ist”, sagt sie.

“Die wollen unter sich bleiben”, sagt dagegen der Journalist Martin Debes. Über zwei Jahrzehnte hat er für die “Thüringer Allgemeine” die Landespolitik begleitet, seit April arbeitet er im Hauptstadtbüro des “Stern”. Wenn “40 Leute in Thüringen eine Landesliste mit 30 Plätzen machen, von denen 15 dann vielleicht reinkommen”, sei das klare Macht- und Ausschlusspolitik, sagt Debes – und sieht Wagenknechts Erfolg eng gekoppelt an die “Politikverachtung” vieler Menschen, vor allem im Osten.

Klar wird in “Inside BSW”, dass Wagenknecht eine Sehnsucht vieler Menschen erfüllt, die sich von den anderen Parteien – und auch von den Medien – nicht wahrgenommen und vertreten fühlen. Hier kann sie mit griffigen Parolen punkten, in Sachen “Friedenspolitik” und Russland, Skepsis und Ablehnung der Maßnahmen während der Corona-Pandemie, und natürlich schwingen auch die alten Ziele wie soziale Gerechtigkeit mit. Was die Doku aber genauso schonungslos zeigt: Ideen zur Umsetzung sind durchgehend Fehlanzeige.

Die Frage nach der AfD

Doch noch ist das BSW nicht so weit, noch werden alte und neue Getreue rekrutiert. Vom Software-Millionär Ralph Suikat, der das Amt des Schatzmeisters übernimmt und Lotte Salingre und Thomas Stanger, die dem BSW über fünf Millionen Euro gespendet haben, bis zu Katja Wolf.

Die ist bis zum Sommer 2024 Oberbürgermeisterin von Eisenach und folgt Wagenknecht von den Linken zum BSW. Die Doku zeichnet sie als einzige, die es ernstzunehmend mit der Parteichefin aufnehmen könnte. Aus Wolf strömt bei jeder Äußerung politische Empathie statt kontrollierter Strenge wie bei Sahra Wagenknecht. Aus ihrer Distanz zur Frontfrau macht sie keinen Hehl. “Katja Wolf widerspricht als einzige”, heißt es denn auch in einer bemerkenswerten Szene der Doku. “Ich bin offensichtlich ein bisschen emotionaler als sie”, sagt Wolf da: “Wie es in ihr aussieht, weiß ich nicht.” – Frage: “Wie gut kennen Sie sie eigentlich?” – “Auf keiner privaten Ebene”, so Wolf.

Und dann ist da noch die Frage mit der AfD. Am Anfang des BSW schwang bei manchen Medien, aber durchaus auch in anderen Parteien die Hoffnung mit, Wagenknecht könne bei den Landtagswahlen der in allen drei Bundesländern vom Verfassungsschutz als “gesichert rechtsextrem” eingestuften Partei Stimmen abjagen, gar den Zuspruch zur AfD halbieren. “Die Ausgrenzung der AfD ist eine dumme Strategie – Alice Weidel ist kein Nazi”, ist so ein scheinbar dahingesagter Satz von Wagenknecht, der dazu zu passen scheint.

Alice Weidel in Schutz genommen

Einen Satz, den die “Spiegel”-Journalistin Melanie Amann aber noch ganz anders einordnet: “Vielleicht sieht sie sich da ein bisschen selber”: Indem sie Weidel in Schutz nehme, nehme sie sich selbst in Schutz. Konkreten Fragen zu ihrer Politik weicht Wagenknecht in “Inside BSW” eher aus. Und wenn sie auf ihre Vergangenheit als Anführerin der Kommunistischen Plattform innerhalb der PDS angesprochen wird, reagiert sie fuchsig. Dieses Szene stammt bezeichnenderweise aus einem Talkshow-Auftritt und nicht aktuell aus der Konfrontation der Autorinnen mit Wagenknecht selbst.

Was die Doku ebenfalls zeigt: Auch im Westen macht sich das BSW auf, doch ausgerechnet in Wagenknechts Wahlheimat, in Oskars Saarland, gibt es Stunk. Mehrere Vorstandsmitglieder traten im Sommer 2024 zurück. Begründung: Wieder das unklare Verhältnis zur AfD.

Die schärfste Kritik an Wagenknecht kommt wiederum aus einer Talkshow: Im September 2023 nannte sie der Historiker und Osteuropa-Experte Karl Schlegel in einer der letzten “Anne Will”-Sendungen eine “Bewirtschafterin der Angst”. Das sei ihr Kapital: “Sie hat nichts beizutragen”. Instrumentalisiert Wagenknecht die Angst anderer Menschen, wie Schlegel meint?

Kein Unterbau, kaum Inhalte

Es ist die kluge Einbeziehung solcher Sequenzen, die “Inside BSW” dann doch auch “outside”, von außen und mit der gebotenen Distanz auf Wagenknecht blicken lässt. Der Vorwurf, siehe bediene sich bei Links- wie Rechtspopulismus und sei dabei, einen in Deutschland bisher einmaligen “Linksautokratismus” zu etablieren, kommt genauso vor wie die nüchterne Bilanz des Soziologen Steffen Mau: Mit ihrem Versprechen der Omnipotenz, diesem “mit mir ins Paradies”, gelinge Wagenknecht “als eine Person allein so zu mobilisieren – mit keinem Unterbau und kaum Inhalten”.

Ausgerechnet mit der eher kalt-charismatischen Technokratin Sahra Wagenknecht ist eine Art gefühlte Politik in Deutschland auf Erfolgskurs. Einer Technokratin, die auch um die Macht der Bilder weiß. Am Schluss des fünften und letzten Teils inszeniert sich Wagenknecht in idyllisch-saarländischer Landschaft und formuliert diesmal in Jeans, Pulli und Turnschuhen das nächste Ziel: Den Bundestag.

“Inside Bündnis Wagenknecht” läuft am Mittwoch, 9. Oktober, auf ZDFinfo. Die Doku ist außerdem in der ZDF-Mediathek zu sehen.