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Woher kommen die Flüchtlinge?

Menschen auf der Flucht, hunderttausende laufen um ihr Leben. Viele von ihnen kommen in Deutschland an. Wie viele sind es tatsächlich? Woher kommen sie? Wie viele dürfen bleiben, wer muss wieder gehen? Daten und Fakten

Wolfgang Noack

Tausende Flüchtlinge trafen in den vergangenen Tagen mit Zügen aus Ungarn über Österreich in Deutschland ein. In München waren es an einem Tag 2500 Menschen. Wir nennen wichtige Daten und Fakten zur Lage.

Ist die gegenwärtige Zahl der Flüchtlinge in Deutschland außergewöhnlich?
Zwischen 1953 und 2014 haben insgesamt rund 4,1 Millionen Menschen in Deutschland Asyl beantragt. Davon entfielen 3,2 Millionen oder 77 Prozent auf den Zeitraum zwischen 1990 und 2014. Die bislang höchste Zahl an Asylbewerbern gab es 1992 mit 438 191. Diese Zahl wird im Jahr 2015 mit Sicherheit übertroffen. Ursachen sind Krisen, Kriege und Armut in Afrika, im Nahen und Mittleren Osten und in Südosteuropa. Schon von Januar bis Juli gab es 218 221 Anträge auf Asyl. Gerechnet wird mit 800 000 Flüchtlingen.

Woher kommen die meisten Flüchtlinge, die in Deutschland Zuflucht suchen?
Bei den wichtigsten Herkunftsländern der Flüchtlinge in Deutschland im Zeitraum Januar bis Juli 2015 steht an erster Stelle Syrien mit einem Anteil von 21,5 Prozent. Den zweiten Platz nimmt Kosovo mit einem Anteil von 15,3 Prozent ein. Danach folgt Albanien mit 15,0 Prozent. Damit entfällt mehr als die Hälfte (51,8 Prozent) aller seit Januar 2015 gestellten Erstanträge auf die ersten drei Herkunftsländer. Es folgen Serbien mit 5,9 Prozent, der Irak mit 5,4 und Afghanistan mit 5,2 Prozent.
Nicht in der Asylbewerber-Statistik erfasst werden die 20 000 Syrer, deren Aufnahme die Bundesregierung wegen des Bürgerkriegs aus humanitären Gründen beschlossen hatte.

Wie verhält sich Deutschland im Vergleich zu den anderen europäischen Staaten bei der Aufnahme von Flüchtlingen?
Die bei Weitem höchste Zahl von Asylsuchenden aus Ländern außerhalb der EU meldete 2014 Deutschland (203 000). Das waren 32 Prozent aller Asylbewerber, gefolgt von Schweden (81 000/13 Prozent), Italien (65 000/10 Prozent), Frankreich (64 000), Ungarn (43 000), Großbritannien (32 000), Österreich (28 000), den Niederlanden (25 000) und Belgien (23 000). 90 Prozent aller Menschen, die 2014 in der EU um Asyl baten, entfielen auf diese neun Mitgliedstaaten.

Neben den absoluten Zahlen gibt es auch eine Statistik, die die Zahl der Flüchtlinge mit der Bevölkerungszahl in Beziehung setzt. Ist Deutschland dann immer noch in einer Spitzenposition?
Umgerechnet auf die Bevölkerungszahl nahm Schweden mit 8,4 Asylbewerbern auf 1000 Einwohner 2014 die meisten Flüchtlinge auf. Es folgten Ungarn (4,3), Österreich (3,3), Malta (3,2), Dänemark (2,6) und Deutschland (2,5). In den ersten vier Monaten 2015 sieht die Rangliste laut EU-Statistikamt Eurostat etwas anders aus: An der Spitze liegt Ungarn (4,09), gefolgt von Schweden (1,74), Österreich (1,66) und Deutschland (1,36).

Auf welchen Routen kommen die Flüchtlinge nach Deutschland?
Nach Angaben von Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) gibt es zwei Hauptzugangswege der Flüchtlinge nach Deutschland: die sogenannte Südroute über Libyen, das Mittelmeer und Italien sowie die Westbalkanroute über die Türkei und Griechenland. Bei der Südroute gibt es eine Zunahme der Flüchtlingszahlen von fünf bis zehn Prozent gegenüber dem Vorjahr. Über die Balkanroute sind jedoch etwa 900 Prozent mehr Flüchtlinge gekommen als im vergangenen Jahr.

Verantwortlich für Asylentscheidungen ist das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Wird das Bundesamt dieser Verantwortung gerecht?
Das BAMF hat sein Personal erheblich aufgestockt. Nach 650 Neueinstellungen seit 2014 wurden im Nachtragshaushalt 2015 nochmals 1000 zusätzliche Stellen bewilligt. Ziel ist es, die Mitarbeiter bis Ende November einzustellen, darunter auch 450 „AsylEntscheider“. 2016 kommen noch einmal bis zu 1000 weitere hinzu. Jeder Entscheider muss allerdings zunächst drei Monate geschult werden. Zugleich erhöht das Amt die Zahl seiner Außenstellen bis Ende des Jahres auf 40.

Besonders tragisch ist das Schicksal von Flüchtlingskindern. Gibt es Erkenntnisse über ihre Zahl?
Nach Schätzungen des „Bundesfachverbands unbegleitete minderjährige Flüchtlinge“ leben in Deutschland aktuell etwa 9000 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Die meisten stammen aus Afghanistan, Syrien, Somalia und Irak.

Die Bundesregierung hat angekündigt, die Schleuserkriminalität stärker zu bekämpfen. Gibt es Erfolge?
Die Bundespolizei hat zwischen Jahresbeginn und Ende Juli bei Kontrollen in grenznahen Regionen und in Zügen 1785 mutmaßliche Schleuser festgenommen. Mit 227 Fällen die größte Gruppe der festgenommenen Schlepper seien Täter aus Ungarn, heißt es.

Welche finanziellen Hilfen gibt die Bundesregierung Ländern und Gemeinden bei der Erstaufnahme von Flüchtlingen?
Die Bundesregierung hat die finanzielle Hilfe für Länder und Kommunen in diesem Jahr auf eine Milliarde Euro verdoppelt. Im Juni haben Bund und Länder gemeinsam beschlossen, dass sich der Bund ab 2016 dauerhaft, strukturell und dynamisch an den Flüchtlingskosten beteiligen wird. Sprachkurse, Unterstützung bei der Arbeitssuche, Sozialleistungen werden weitere Milliarden kosten. Die Bundesregierung rechnet allein für 2016 mit zusätzlichen Mitteln in Höhe von 1,8 bis 3,3 Milliarden Euro. Diese Kosten würden auf rund sieben Milliarden Euro im Jahr 2019 anwachsen, so Sozialministerin Andrea Nahles (SPD).

Welche Leistungen erhalten Flüchtlinge in Deutschland?
Flüchtlinge erhalten in Deutschland pro Monat ein Taschengeld von 140 Euro für Bedürfnisse des täglichen Lebens. Unterkunft, Heizung und Lebensmittel werden ihnen überwiegend zur Verfügung gestellt. Insgesamt entspricht das Leistungen von 359 Euro im Monat. Das Bundesverfassungsgericht hatte 2012 entschieden, dass die Gewährung des Existenzminimums eine Frage der Menschenwürde sei und auch für Asylbewerber gelte.
Mehrere Unionspolitiker hatten zuletzt vorgeschlagen, statt Taschengeld mehr Sachleistungen auszuzahlen.