An diesem Sonntag scheint im kleinen Ort Ganz etwa 120 Kilometer nördlich von Berlin ein Großeinsatz der Rettungskräfte stattzufinden. Polizeiautos, Krankenwagen, ein Feuerwehrfahrzeug und der gelbe Bus der Rettungshundestaffel säumen die Zufahrt zur Kapelle zwischen ehemaligem Gutshaus und Brennereiruine. Doch der erste Eindruck trügt zum Glück. Denn heute treffen sich Polizistinnen und Polizisten, Feuerwehrleute und viele andere Rettungskräfte samt ihren Familien einfach mal so, zum Zusammensein, beim Austausch am Lagerfeuer. Im Hintergrund steht die Kapelle im grauen Putz –seit dem Sommer ist sie die erste Blaulichtkirche Deutschlands.
Kirche vor Verkauf gerettet
Ganz gehört zur frisch gebildeten „Gesamtkirchengemeinde Herzsprunger Land“. Nach der Fusion Anfang des Jahres stand die Entscheidung an, wie die zahlreichen Kirchen und damit auch die kleine Kapelle künftig genutzt werden sollen. Gottesdienste hatten dort nur noch selten stattgefunden. „Sogar das böse Wort Verkauf stand im Raum“, erinnert sich Axel Redepenning – der nicht nur Vorsitzender des Vereins Blaulichtkirche ist, sondern auch Mitglied im neuen Gesamtkirchenrat.

Soweit sollte es zum Glück nicht kommen, denn bei seinen Kolleginnen und Kollegen rannten er und Beate Wolf, Polizeipfarrerin des Landes Brandenburg, mit der Idee einer Blaulichtkirche offene Türen ein. „Wir hatte schon lange den Hintergedanken, einen Ort der Gemeinschaft und des Gedenkens an im Einsatz verstorbene Kolleginnen und Kollegen zu finden“, so Polizist Redepenning. „Allen in der Blaulichtfamilie ist bewusst, dass es jede und jeden von uns treffen kann.“
Blaulichtkirche: Blaue Kirchenfenster als Vorzeichen
Dann ging alles sehr schnell. „Es war ein Glücksfall zwischen Himmel und Erde“, freut sich Redepenning und ergänzt mit einem Lachen: „Die blauen Glasfenster der Kirche schienen ein gutes Vorzeichen.“ In nur wenigen Monaten wurde ein Verein gegründet und intensive Wochen in die Gestaltung der Kapelle investiert, um sie an die Bedürfnisse der Gemeinschaft anzupassen. Demnach soll die Blaulichtkirche weit mehr sein als ein Ort der Trauer. Geplant seien Veranstaltungen wie ein Barbecue oder Fachvorträge. Eine Schulkooperation ist angedacht und natürlich fröhliche Feste wie Taufen und Hochzeiten, von denen für 2025 schon zwei fest im Kalender der Blaulichtkirche stehen.
Zwölf Mitglieder hatte der Verein Blaulichtkirche Ganz bei seiner Gründung am 25.Juni dieses Jahres, inzwischen sind es über 30. Diese stehen im Polizeidienst, arbeiten bei der Bundeswehr, beim Technischen Hilfswerk, als Rettungssanitäter oder sind aktiv in der Freiwilligen Feuerwehr. Sie kommen aus dem Landkreis Ostprignitz-Ruppin, aber auch aus dem ganzen Land Brandenburg.
Auch an vierbeinige Kameraden wird in der Blaulichtkapelle erinnert
Auf dem Altar brennen die Kerzen. Zwei Helme liegen dort, dazwischen sitzt ein Teddy der Notfallseelsorge. Unter dem Kreuz befindet sich das Gedenkbuch für die im Dienst verstorbenen Kolleginnen und Kollegen. Auch eine Ecke für die vierbeinigen Kameradinnen und Kameraden gibt es. Bilder und ein Halsband erinnern hier etwa an die belgische Schäferhündin Cleo, die mit ihrem Hundeführer im Einsatz in Afghanistan war. Der Abschied von treuen Gefährten wie Diensthunden, Polizeipferden oder Lastenmulis bei der Bundeswehr ist oft tränenreich. „Sie sollen immer in Erinnerung bleiben und einen Platz in der Blaulichtfamilie haben“, betont Redepenning, der selbst 28 Jahre Diensthundeführer war. Ein Foto in der Vitrine erinnert auch an seinen letzten Hund Artemis.
Bezug zu Gott bleibt in der Blaulichtkirche sichtbar
Am Lagerfeuer wärmt sich Melanie Sayferth-Frank die Hände an einem Becher Glühwein: Die Ergotherapeutin engagiert sich ehrenamtlich beim Deutschen Roten Kreuz (DRK), ihr Ehemann ist Polizist. Außerdem ist sie Lektorin und angehende Prädikantin im Kirchenkreis Prignitz. Gerade hat sie in rotem Schal und Nikolausmütze eine turbulente Weihnachtsgeschichte erzählt – bei der sämtliche „Blaulichter“ an der Rettung des Weihnachtsfestes mitgewirkt haben.
Melanie Sayferth-Frank ist vom ersten Tag im Verein dabei und kümmert sich um die Mitgliederpflege. „Ich freue mich, hier mein Engagement als Christin mit dem in der Blaulichtfamilie zusammenzubringen.“ Ein anderes Vereinsmitglied berichtet: „Die Gefahr ist immer präsent. Es macht etwas mit mir, wenn mein Mann zum Einsatz rausfährt.“ Da sei es total wichtig, dass es einen Ort gebe, wo die Einsatzkräfte geehrt und gesegnet werden. Doch lange nicht alle Vereinsmitglieder stehen der Kirche nahe oder sind getauft. „Daher sind wir ausdrücklich konfessionsoffen“, so Redepenning.
Eines ist den Akteurinnen und Akteuren dennoch wichtig: Die Kapelle in Ganz ist und bleibt eine Kirche. Sie wurde nicht entwidmet, sondern der Verein hat eine Nutzungsvereinbarung unterschrieben. „Der Gemeinkirchenrat hat einstimmig dafür gestimmt und auch das Konsistorium erteilte in kurzer Zeit seine Zustimmung“, freut sich der Vorstand. Die Verbindung zur Kirchengemeinde ist allein schon durch die personellen Überschneidungen eng und auch Gemeindegottesdienste können weiterhin stattfinden.