Wenn ein Mann seine Frau oder Ex-Lebensgefährtin tötet, ist das in den meisten Fällen keine Affekthandlung. Der sogenannte Intimizid gilt unter Fachleuten vielmehr als Amoktat mit Ansage.
Der Fall hatte im Juni für Entsetzen gesorgt, jetzt sind die Ermittlungen abgeschlossen. “Der Ex-Lebensgefährte hat zunächst die Frau getötet und dann sich selbst”, teilt die Staatsanwaltschaft Mannheim mit. Eine etwaige Beteiligung weiterer Personen könne ausgeschlossen werden. Damit ist juristisch geklärt, was schon in jener Nacht zu erahnen war: dass sich im Neckarauer Waldweg in Mannheim ein Femizid ereignet hat, die Tötung einer Frau durch ihren ehemaligen Lebenspartner.
Fast jeden dritten Tag stirbt in Deutschland eine Frau durch die Hand ihres Partners oder Ex-Partners. Seit 2015 wertet das Bundeskriminalamt Gewalt in Partnerschaften kriminalistisch aus. Opfer sind fast immer Frauen. 2021 starben 113 Frauen und 14 Männer durch Gewalt in der Partnerschaft. Auf Instagram zählt die Gruppe “Femizide stoppen” entsprechende Fälle. Solche Intimizide – oder Femizide, wenn eine Frau wegen ihres Geschlechts getötet wird – finden sowohl in bestehenden als auch in Ex-Partnerschaften statt.
Doch warum kommt es zu diesem Gewaltexzess? Warum erwürgen, erstechen, erschlagen Männer ihre Frauen oder Ex-Frauen? “Intimizide sind in der Regel keine spontanen Affekttaten, sondern ihnen geht eine Planungsphase voraus”, sagt Stefanie Horn, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Deutschen Hochschule der Polizei. Anders als in Medien oft dargestellt, handelt es sich also nicht um eine Kurzschlusshandlung oder ein “Familiendrama”. Vielmehr sind Intimizide meist der desaströse Schlusspunkt eines längeren Konflikts.
Fatalerweise stellt sich oft erst in der Rückschau heraus, dass es Warnsignale gab, die auf die Tat hindeuteten. “Es kann sein, dass der Gefährder seine Tatfantasien oder -ideen gegenüber Dritten deutlich macht”, sagt Horn. Das könnten verbale Drohungen gegenüber der späteren Betroffenen sein oder konkrete Pläne, über die vorab gesprochen wird. “Leaking” nennt sich das.
“Aus der Amok- und Terrorismusforschung ist Leaking als ein spezifischer Frühindikator für anstehende Taten bekannt und wird dort präventiv genutzt”, erklärt Horn. In Bezug auf Intimizide fehlt dafür bislang noch die Datenbasis. In einem gemeinsamen, vom Bundesfrauenministerium geförderten Forschungsprojekt wertet die Deutsche Hochschule der Polizei mit der Psychologischen Hochschule Berlin und dem Polizeipräsidium Ravensburg die Akten von Intimiziden aus, um Signale herauszufiltern, die Ansatzpunkte für eine verbesserte Prävention bieten können.
Eine Möglichkeit zur Risikobewertung, die der Polizei schon jetzt zur Verfügung steht, sind Prognoseinstrumente. Die Polizei Baden-Württemberg hat sich vor zwei Jahren im Rahmen eines neuen Gefährdungsmanagements für ein solches Tool entschieden. Odara nennt sich das, vom Englischen “Ontario Domestic Assault Risk Assessment”. Dabei handelt es sich um einen Fragebogen mit 13 Punkten, um abzuklären, ob es Vorfälle von häuslicher Gewalt gab, inwieweit Kinder im Haushalt leben oder es eine Alkohol- oder Drogenabhängigkeit gibt. Ziel ist, Hinweise auf eine statistisch wahrscheinliche Gewalteskalation zu erhalten.
Auch bei der 36-jährigen Frau aus Neckarau kam Odara zum Einsatz. “Der Fall wurde einmal in der niedrigsten und einmal in der nächsthöheren Kategorie eingestuft”, erklärt Markus Becker von der Koordinierungsstelle häusliche Gewalt des Polizeipräsidiums Mannheim. Der spätere Täter war zuvor bereits gewalttätig geworden: 2020 und 2021 gab es Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Körperverletzung. Die Verfahren wurden eingestellt, es wurde allerdings ein mehrtägiges Annäherungsverbot gegen den Mann verhängt und eine Gefährderansprache durchgeführt. Ihm wurde klargemacht, dass er unter Beobachtung steht.
“Wird ein Fall bei Odara in die höchste Kategorie, die dritte, eingestuft, muss eine Fallkonferenz durchgeführt werden”, sagt Becker. Da sitzen dann sämtliche Behörden mit am Tisch, unter anderem das Jugendamt, die Ausländerbehörde, die Waffenbehörde, um sich über den Fall auszutauschen und gegebenenfalls Maßnahmen zu ergreifen. Der Fall aus Neckarau hat die höchste Odara-Kategorie nie erreicht.
“Leider lassen sich Gefährlichkeiten nicht immer erkennen”, räumt Becker ein. Das Grundproblem: Häusliche Gewalt findet hinter verschlossenen Türen statt, und viele Betroffene schweigen über die Taten, weil sie sich schämen. Immer wieder müssen Polizisten, die wegen häuslicher Konflikte gerufen werden, erleben, dass betroffene Frauen ihre Männer schützen.
Gibt es keine Gewaltvorgeschichte, unterschätzen Analysetools indes regelmäßig das tatsächliche Risiko für einen Intimizid. “Man wird kein Risikoanalyseinstrument entwickeln können, das eine hundertprozentige Trefferquote hat”, betont Stefanie Horn.
Darüber hinaus seien Trennungskonflikte oft hochdynamisch; selbst für professionelle Dritte sei es schwer, die Situation richtig einzuschätzen. Auch Betroffene, Angehörige, Freunde seien sich der tatsächlichen Risiken häufig nicht bewusst. So kommt es vor, dass die Frau den Ex-Freund noch einmal aufsucht oder ihn ins Haus lässt.