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Vatikan-Experte zum Dialog mit dem Judentum nach dem 7. Oktober

Pater Norbert Hofmann ist für die Beziehungen des Vatikans zum Judentum zuständig; kein einfaches Thema, das auch immer von politischen Entwicklungen beeinflusst wird. 2025 steht ein wichtiger Jahrestag an.

Das Verhältnis zwischen Judentum und katholischer Kirche galt jahrhundertelang als belastet. Das änderte sich mit einem Dokument des Zweiten Vatikanischen Konzils vor fast 60 Jahren. Aber der mit dem Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 aufgeflammte Gazakrieg hat auch Folgen für diesen Dialog, wie Pater Norbert Hofmann sagt. Er ist Sekretär der Vatikan-Kommission für die Beziehungen zum Judentum. Im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) spricht der deutsche Salesianerpater auch über andere Meilensteine seiner Amtszeit.

KNA: Pater Hofmann, wie wirkt sich der Hamas-Angriff auf Israel mit all seinen Folgen auf Ihre Arbeit aus?

Hofmann: Der 7. Oktober ist ein einschneidendes Datum für die jüdisch-katholischen Beziehungen. Unsere jüdischen Partner hätten vielleicht erwartet, dass der Vatikan eins zu eins die Politik des Staates Israel stützt. Aber das kann der Papst nicht einseitig tun, weil die lokalen Katholiken in Israel vornehmlich Palästinenser sind und dann nicht nur jede katholische, sondern auch jede christliche Gemeinschaft in muslimischen Ländern gefährdet wäre. Deswegen versucht der Vatikan, eine Äquidistanz zu halten, also einen gleichen Abstand zwischen den Juden oder der Politik des Staates Israel sowie den Palästinensern oder dem Islam. Das ist nicht einfach in dieser Zeit.

KNA: Wie gehen Sie persönlich mit dieser Situation um?

Hofmann: Es bestehen sehr gute Beziehungen zwischen der katholischen und der jüdischen Welt, auch durch die Organisation vieler Tagungen und Seminare. Und auch auf der persönlichen Ebene sind in meiner Zeit im Amt viele freundschaftliche Beziehungen mit Juden entstanden. Diese Freundschaften kann mir niemand nehmen, auch kein 7. Oktober. Dazu zählt zum Beispiel auch das gute Verhältnis zu Viktor Eichner, der vor einem Jahr als Repräsentant des Jüdischen Weltkongresses hier in Rom sein Büro eröffnet hat. Auf dieser Ebene läuft der Dialog weiter, aber nicht offiziell.

KNA: Papst Franziskus schrieb kürzlich einen Brief an die Christen im Heiligen Land, der zum Teil für Irritationen sorgte.

Hofmann: Nun, es hat Kritik gegeben, aber auch Zustimmung. Der Papst ist seiner Linie treu geblieben, humanitäre Aspekte zu betonen und weder den Aggressor noch die Angegriffenen noch Kriegshandlungen beim Namen zu nennen. Franziskus hat bereits im Frühjahr an die Christen im Heiligen Land geschrieben und auch damals die Position des Heiligen Stuhls, nämlich eine Äquidistanz, gewahrt.

KNA: Wie steht der Heilige Stuhl auf diplomatischer Ebene zu den Palästinensern?

Hofmann: Der Vatikan hat Palästina als Staat anerkannt und ist in guten Beziehungen zu den Palästinensern. Auch war der Vatikan schon immer für die Zwei-Staaten-Lösung, wobei er Jerusalem einen Sonderstatus zuerkannt haben will. Die offizielle Vatikanbotschaft in Israel ist zwar in der Hauptstadt Tel Aviv, aber rein praktisch ist die sogenannte “Apostolic Delegation” (Vertretung) am Ölberg in Jerusalem tätig sowohl für Palästina als staatliches Gebilde wie auch für Israel als Staat. Von dort aus wird eigentlich alles geregelt.

KNA: Deutschland hat eine ganz andere Haltung zu Israel als der Vatikan.

Hofmann: Seit der Ära Merkel ist für Deutschland die Sicherheit Israels Staatsräson. Der Hintergrund ist unsere Geschichte mit dem Holocaust. Der Vatikan hat da eine andere politische Position und versucht, die Dinge entsprechend der Leute vor Ort anzugehen.

KNA: 2025 jährt sich die Vatikan-Erklärung “Nostra aetate” über das Verhältnis der Kirche zum Judentum zum 60. Mal. Was wird da eigentlich gefeiert?

Hofmann: Die Erklärung entstand vor allem aufgrund einer Reflexion oder einer Art Gewissenserforschung über die Schoah: Wie konnten Christen trotz des christlichen Menschenbildes damals so handeln? Einen weiteren Ausschlag gab auch eine neue Sichtweise der biblischen Wissenschaften, die sich erst mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil verdichtet hat: Jesus auf historischem Hintergrund im Judentum zu betrachten. Damit ist “Nostra aetate” ein dezidiertes Ja zu den jüdischen Wurzeln des Christentums und ein dezidiertes Nein zu allen Formen des Antisemitismus. Das ist die Basis, auf der wir weitergehen werden. Juden schätzen diese Basis sehr, deswegen gilt es, “Nostra aetate” als Ursprung des offiziellen jüdisch-katholischen Dialogs zu feiern.

KNA: Wie soll das gefeiert werden?

Hofmann: Unter anderem wird um den Jahrestag am 28. Oktober 2025 eine dreitägige Konferenz an der Päpstlichen Universität Gregoriana stattfinden. Sicher gibt es auch Veranstaltungen von Ländern und Institutionen. Es werden auch Repräsentanten des Judentums und auch des Islams und anderer Religionen eingeladen, um den Papst zu begrüßen. Ich hoffe, dass sich die politische Situation bis dahin beruhigt hat und wir gebührend “Nostra aetate” feiern können.

KNA: Und falls nicht?

Hofmann: Nun, was die politische Lage betrifft, muss man zunächst die US-Präsidentschaftswahl abwarten. Davon hängt einiges auf weltpolitischer Ebene ab, auch was die gespannte Lage im Nahen Osten betrifft.

KNA: Dies ist sicher nicht der erste Konflikt Ihrer Amtszeit. Was waren die schwierigsten Herausforderungen für Sie?

Hofmann: Ich erinnere an die Irritationen um Änderungen der Karfreitagsfürbitte des alten Ritus von 1962 für die Juden 2008 durch Papst Benedikt XVI. oder ein Jahr später um die Aufhebung der Exkommunikation von Bischof Richard Williamson von der Piusbruderschaft, einem Holocaustleugner. Letzteres war allerdings eher eine Ungeschicklichkeit seines Apparates, für die sich Benedikt XVI. dann entschuldigt hat. Im selben Jahr ist er nach Israel geflogen, und die Dinge kamen sehr schnell wieder ins Lot. Aber das waren meine zwei schwierigsten Angelegenheiten.

Ansonsten haben wir ziemlich geglückt 40 und 50 Jahre “Nostra aetate” gefeiert und 2015 ein neues Dokument zum jüdisch-katholischen Dialog herausgegeben. Kardinal Kurt Koch und ich waren viel in den USA, Israel, europäischen und auch anderen Ländern. Das ist im Großen und Ganzen alles sehr gut gelaufen.