Die katholische Kirche hatte 2018 eine Studie zu Missbrauch durch Geistliche vorgestellt. Seitdem gab es immer wieder Forderungen, die evangelische Kirche müsse dies auch tun. Jetzt ist die Untersuchung fertig.
Ein unabhängiges Forscherteam stellt am Donnerstag die erste bundesweite Studie zu sexualisierter Gewalt in der evangelischen Kirche und in der Diakonie vor. Die Ergebnisse werden bei einer Pressekonferenz in Hannover präsentiert. Die Studie biete “einen ersten breiteren Ansatz zur Erforschung und Analyse von Aspekten sexualisierter Gewalt in der evangelischen Kirche und Diakonie in Deutschland”, hieß es vorab.
An der Präsentation nehmen neben den Forschern Vertreter von Betroffenen und der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) teil. Die amtierende EKD-Ratsvorsitzende, Bischöfin Kirsten Fehrs, will ein Statement abgeben.
Die EKD hatte die Studie vor gut drei Jahren für rund 3,6 Millionen Euro in Auftrag gegeben. Die Forscher sollten alle Landeskirchen sowie die Diakonie mit einbeziehen. Die Studie enthält sechs Teilstudien, in denen Ursachen und Besonderheiten von sexualisierter Gewalt in der evangelischen Kirche untersucht werden. Auch Betroffene waren beteiligt. Ziel ist eine Gesamtanalyse evangelischer Strukturen und systemischer Bedingungen, die sexualisierte Gewalt begünstigen und ihre Aufarbeitung erschweren.
Das Forscherteam arbeitet unter dem Titel “ForuM – Forschung zur Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt und anderen Missbrauchsformen in der Evangelischen Kirche und Diakonie in Deutschland”. Koordiniert wird es von dem Professor für Soziale Arbeit an der Hochschule Hannover, Martin Wazlawik. Daneben sind die Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg, die Bergische Universität Wuppertal, die Freie Universität Berlin, das Institut für Praxisforschung und Projektberatung München, das Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, das Zentralinstitut für Seelische Gesundheit Mannheim sowie die Universität Heidelberg beteiligt.
Nach Einschätzung von Bischöfin Fehrs wird die Studie mehr als die bislang bekannten rund 900 Fälle aufführen. Auch andere Beobachter gehen von weit mehr Fällen aus. Für die katholische Kirche in Deutschland war 2018 eine Studie über Missbrauchsfälle in ihren Reihen in den Jahren 1946 bis 2014 veröffentlicht worden. Sie fand Hinweise auf bundesweit 3.677 Betroffene sexueller Übergriffe und auf rund 1.670 beschuldigte Priester, Diakone und Ordensleute. Die Studie war ein Auslöser des katholischen Reformdialogs Synodaler Weg.
Nach bisher vorliegenden Informationen werden die beiden Studien nur begrenzt vergleichbar sein. Unter anderem soll die neue Untersuchung stärker auf Betroffene schauen und weniger auf die Täter. Zudem wurden nicht nur die Taten von Geistlichen erforscht, sondern auch die von Ehrenamtlichen in der Kirche. Außerdem wurden auch die Einrichtungen der Diakonie untersucht, auf katholischer Seite aber nicht die der Caritas.