Nancy Janz ist Sprecherin der Betroffenenvertretung im Beteiligungsforum Sexualisierte Gewalt der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Sie hat als junge Frau in einer diakonischen Einrichtung in Niedersachsen selbst sexuelle Übergriffe und Missbrauch durch einen Seelsorger erfahren. Im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) erläutert sie, was nach der Veröffentlichung der ForuM-Studie über Missbrauch in der Kirche Ende Januar geschehen sollte und was sich in Niedersachsen und Bremen tut.
epd: Frau Janz, die Studie geht innerhalb der EKD von mindestens 2.225 Betroffenen von sexualisierter Gewalt und 1.259 mutmaßlichen Tätern aus. Die Dunkelziffer ist aber viel höher. Die Forschenden geben auch Empfehlungen. Wie geht es jetzt weiter?
Nancy Janz: An einigen Themen, die sich in den 46 Handlungsempfehlungen zeigen, arbeiten sind wir als Beteiligungsforum schon. Dennoch bleiben noch viele Empfehlungen zu bearbeiten und dann vor allem zügig umzusetzen. In der Studie steht zum Beispiel, dass viele Betroffene von sexualisierter Gewalt vereinzelt sind und der Wunsch nach Vernetzung groß ist. Wir haben in den letzten zwei Jahren in der Betroffenenvertretung sehr intensiv an der digitalen Vernetzungsplattform BeNe (Betroffenen Netzwerk) gearbeitet, mit der wir hoffentlich im April starten.
Immer wieder haben wir auch erfahren, wie schwierig es ist, Informationen zu finden. Man muss sich durch die Homepages der verschiedenen Kirchen klicken, nichts ist einheitlich. Die Verfahren sind unterschiedlich, da haben wir wieder den föderalen Flickenteppich in der evangelischen Kirche, der an vielen Stellen kritisiert wird. Das soll mit BeNe besser werden, weil es dort neben den Foren zur Vernetzung auch gebündelte Informationen geben wird.
epd: An vielen Stellen sollen jetzt Betroffene beteiligt werden, unter anderem in den regionalen unabhängigen Aufarbeitungskommissionen, die in ganz Deutschland gegründet werden sollen, unter anderem eine für die Kirchen in Niedersachsen und Bremen. Wie lassen sich denn Betroffene zur Mitarbeit gewinnen?
Janz: Die Kommissionen funktionieren nur dann, wenn von Anfang an Betroffene beteiligt werden. Darum wurde bei der Konzeption mitbedacht, wie das gelingen kann. Es wird Foren für jeden Verbund geben, in denen jährlich informiert wird. Auch diese Foren sollen dem Austausch der Information dienen und der Vereinzelung entgegenwirken. Zudem werden Beteiligungsprozesse vorgestellt, und es wird zur Mitwirkung eingeladen.
Die Arbeit in der Betroffenenvertretung ist ein sehr zeitintensives und mitunter herausforderndes Ehrenamt. Um diese Arbeit stabil machen zu können, ist es unbedingt notwendig ein funktionierendes Begleitteam zu haben, denn Resilienz allein genügt manchmal nicht. Zudem ist die weitere Vernetzung mit Betroffenen ungemein wichtig, damit die Erwartungen und Forderungen in das Beteiligungsforum eingebracht und bearbeitet werden können. Dabei geht es auch um einen Rückhalt von anderen Betroffenen.
epd: In den regionalen Kommissionen sollen ja je mindestens zwei Betroffene mitwirken. Können sich viele so etwas vorstellen?
Janz: Da sind wir gefühlt sehr weit weg von Wunschzahlen. Viele Betroffene können sich eine Mitwirkung nicht vorstellen, aus unterschiedlichen Gründen. Und es gibt viele Betroffene, die sich nicht auf diese Beteiligungsformen einlassen wollen. Die sagen sich, warum soll ich mich euch zur Verfügung stellen? Was habt ihr eigentlich für mich getan?
epd: Gibt es weitere Gründe dafür, dass einige vielleicht nicht mitwirken wollen?
Janz: Da gibt es die Betroffenen, die still leiden. Die sich immer noch mit ihrer Kirche verbunden fühlen. Sie haben Angst, aus einem System herauszufallen, das ihnen trotz allem Halt und Sicherheit gibt. Die werden keine Täter oder Täterinnen nennen. Sie werden sich nicht mit anderen Betroffenen verbinden. Aber sie verfolgen vielleicht sehr aufmerksam, was passiert, ob ihr Täter vielleicht irgendwo durch andere benannt wird.
Und es gibt auch diejenigen, die sich aufreiben, weil sie eine Anerkennung ihres Leids fordern, und zwar in einer angemessenen Form. Da denke ich vor allem an den Bereich der Diakonie, wo Betroffene oft nur eine Pauschalleistung von 5.000 Euro bekommen haben. Wo wir Menschen haben, die von Sozialleistungen leben und sich noch nicht mal eine neue Waschmaschine leisten können, wenn die kaputtgegangen ist. Warum sollen die sich zur Verfügung stellen und mitarbeiten, wenn sie nicht wissen, wie sie über die Runden kommen?
epd: Welchen Anteil haben Betroffene trotz all der Hindernisse an dem, was sich bisher bewegt hat?
Janz: Es braucht die Betroffenen, die wütend sind, die in dieser Wut auch eine zerstörerische Kraft haben und sagen: „Alles, was ihr tut, ist falsch. Ihr könnt es nicht richtig machen! Eine Institution kann sich selbst nicht aufarbeiten.“ Diese Kraft hat es gebraucht, um überhaupt wach zu werden als evangelische Kirche. Und diese Kraft wird weiter benötigt.
epd: Ganz praktisch: Welche Schritte folgen jetzt in Niedersachsen und Bremen mit Blick auf die regionale unabhängige Aufarbeitungskommission, die ja in 15 Monaten stehen soll?
Janz: Für Niedersachsen und Bremen ist die Geschäftsführungsstelle schon ausgeschrieben, die dann die Einrichtung koordinieren soll. Von Anfang an soll die Perspektive von Betroffenen einfließen. Im ersten Forum soll dann über die generelle Arbeit der Kommission informiert werden und auch darüber, welche Möglichkeiten der Mitwirkung es geben kann.
In den Kommissionen werden vor allem Beauftragte der Landesregierung als unabhängige Experten und Expertinnen vertreten sein sowie in der Unterzahl Vertreterinnen und Vertreter der Landeskirchen und der Diakonie.
epd: Die Experten sollen dabei von den Landesregierungen benannt werden?
Janz: Da sind wir angewiesen auf die Politik und darauf, welche Menschen sich für die Kommissionen zur Verfügung stellen. Das Einrichten der Kommissionen ist sehr komplex. Ende Mai, Anfang Juni ist angedacht, dass die ersten Betroffenenforen starten sollen. Von da aus wird dann weitergeplant. Bis zum Herbst sollten dann die Beauftragten der Regierungen feststehen, damit die 15 Monate zur Einrichtung der Kommissionen eingehalten werden.