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So sehen Flüchtlinge den deutschen Alltag

Von Briefkästen bis zu Liebesschlössern – sechs Wochen haben Flüchtlinge in Hannover den deutschen Alltag fotografiert. Dabei haben sie einiges gelernt.

Shelan Hemi aus Syrien zeigt ihr Foto von Liebesschlössern an einer Brücke
Shelan Hemi aus Syrien zeigt ihr Foto von Liebesschlössern an einer BrückeHarald Koch / epd

Hannover. Shelan Hemi präsentiert stolz ihr Foto. Sie steht neben einem leuchtend gelben Briefkasten und strahlt über das ganze Gesicht. "Bei uns in Syrien gibt es keine Briefkästen. Wenn man Post bekommt, weiß man das vorher und holt sie sich beim Postamt ab", erzählt die 23-Jährige. Sie ist eine von elf Flüchtlingen aus Syrien, die von Mitte April bis Ende Mai bei einem Foto-Workshop des Evangelischen MedienServiceZentrums (EMSZ) in Hannover mitgemacht haben. Die Teilnehmer sind losgezogen und haben das fotografiert, was ihnen in Deutschland besonders ins Auge sticht, was ihnen gefällt oder was sie nicht verstehen.
Initiiert hat das Projekt Diana Schild vom Flüchtlingshilfe-Verein "Crescent Noah". Über den Verein kamen einige Teilnehmer sowie zwei Dolmetscher zu dem Projekt. Auch wenn die Erstversorgung wie Unterbringung und Finanzierung mittlerweile stattgefunden habe, fehle vielen Flüchtlingen eine Perspektive, sagt Schild als Online-Redakteurin des EMSZ. "Wir wollten den Teilnehmern ermöglichen, kreativ zu sein, neue Leute kennenzulernen und sich eine Beschäftigung zu suchen." Am ersten von insgesamt vier Terminen zogen die jungen Syrer mit Kameras und Handys los. Mit dabei waren Mitarbeiter des EMSZ, die Tipps über Kameraeinstellungen und Foto-Perspektiven gaben.

Die Geschichte hinter dem Foto wird auf Deutsch erzählt

Die häufigsten Motive sind Fahrräder, Liebesschlösser und immer wieder Naturaufnahmen. Auch Shiyar Alabdullah hat viele Enten, Bäume und Blumen fotografiert. Die alten Bäume und Häuser in Deutschland gefallen ihm, sagt der 31-Jährige. "Wenn ich in einen Park gehe, gibt mir das ein bisschen Ruhe." In seiner Heimat hat Shiyar als Hochzeitsfotograf gearbeitet. Der Workshop war für ihn eine gute Gelegenheit, daran anzuknüpfen. "Ich habe neue Freunde kennengelernt und konnte Deutsch sprechen."
Die Sprache wurde besonders beim zweiten und dritten Treffen wichtig. Alle Teilnehmer sollten ihre Bilder vorstellen und die Geschichten dahinter erzählen – auf Deutsch. "Da passiert natürlich auch Sprachvermittlung über die Fotos", sagt Schild. Auch das gemeinsame Bearbeiten der Bilder mit Programmen wie Photoshop und InDesign war Teil des Workshops. Zum vierten und letzten Treffen haben alle etwas zu essen mitgebracht. Jeder Teilnehmer erhält einen Kalender und eine individuelle Fotocollage, zusammengestellt aus den Projekt-Fotos.
"Wir möchten den Teilnehmern etwas in die Hand geben", sagt Schild. Die Kalender, die passend zum Ende des Projekts mit dem Monat Juni beginnen, seien eine Erinnerung für das ganze Jahr. Die Projektleiter haben einige Syrer ermutigt, ein Instagram-Konto anzulegen und dort auch in Zukunft Fotos hochzuladen. Zum einen könne das eine Brücke bauen zu den Verwandten, die nicht in Deutschland sind. "Außerdem können solche Bilder auch mal entdeckt werden, so sind schon Talente gefunden werden."

Fotos auf Instagram

Nour Shahoud ist eine der drei Teilnehmer, die den Instagram-Account unter dem Namen "nshmhannover" betreiben. In Syrien hat die 25-Jährige begonnen, Grafikdesign zu studieren, in Deutschland will sie das Studium so bald wie möglich fortsetzen. "Der Workshop hat mir geholfen, mich darauf vorzubereiten." Besonders gefallen habe ihr die nette Stimmung im Team. "Und ich konnte etwas erreichen und hatte ein Erfolgserlebnis." Das Beste: Über den Workshop kann die junge Frau ein Praktikum in der Grafikabteilung des EMSZ beginnen.
Auch Shelan will in Zukunft weiter für den Instragram-Account fotografieren. Auf einem ihrer Bilder ist eine Fernsehkamera abgelichtet. "Ich habe zu Hause beim Radio gearbeitet, und die Kamera erinnert mich daran", erläutert die 23-Jährige. Besonders hervor sticht auf ihrer Collage das Bild einer großen Baustelle. Was für Deutsche eher laut und störend ist, macht vielen Flüchtlingen Hoffnung. "In Syrien hat der Krieg alles zerstört, ich wünschte, es gäbe diese Renovierungsarbeiten bei uns." (epd)