Artikel teilen:

SH: Kirche und Polizei wollen enger kooperieren

Kirche und Polizei wollen in Schleswig-Holstein künftig enger zusammenarbeiten. In Zeiten des politischen Rechtsrucks sei es wichtig, die Sorgen und Ängste der Menschen noch stärker in den Blick zu nehmen, sagten die Bischöfin im Sprengel Schleswig und Holstein der evangelischen Nordkirche, Nora Steen, und die Chefin der Landespolizei Schleswig-Holstein, Maren Freyher, im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) am Rande einer Tagung von Kirche und Polizei im nordfriesischen Breklum. Sie erklärten, welche Ziele Polizei und Kirche trotz unterschiedlicher Aufgaben eint, welchen Belastungen Polizisten und Polizistinnen in ihrem Job ausgesetzt sind und warum ihnen besonders das Angebot der Polizeiseelsorge helfen kann.

epd: Zwei Frauen stehen erstmals in Schleswig-Holstein an der Spitze der Polizei und der Kirche. Schweißt Sie das zusammen?

Freyher: Ich glaube, in unserem ersten Gespräch hat das schon eine Rolle gespielt. Wir konnten uns sofort gut und offen austauschen, inhaltlich und auch persönlich. Das ist ein schönes Bild in die Gesellschaft, finde ich. Nach vielen Generationen ist es jetzt selbstverständlich, dass zwei Frauen in diesen Funktionen sind und dort wirken können. Und zwar auch mit einem Kreis, der sich teilweise noch überwiegend mit Männern zusammensetzt. Diese Verzahnung findet statt.

epd: Haben Sie bei Männern also nicht mehr mit Vorurteilen zu kämpfen?

Steen: Ich finde, diese Tagung zeigt, dass das absolut akzeptiert ist. Teilnehmende sind Führungskräfte aus Polizei und Kirche. Wir diskutieren hier über gesellschaftlichen Zusammenhalt. Wie bei der Polizei sind auch in der Nordkirche überwiegend Männer in den Führungsrollen tätig. Ich würde nicht sagen, dass dieses Geschlechter-Thema obenauf liegt. Aber es prägt auf positive Weise das Miteinander, wenn wir als Frauen in Führung sind. Darüber hinaus ist es nicht selbstverständlich, dass die Führungsebenen von Polizei und Kirche sich soviel Zeit nehmen, um über unsere Gesellschaft und den Zusammenhalt zu sprechen.

epd: Und warum nehmen Sie sich die Zeit?

Steen: Trotz unserer unterschiedlichen Aufgaben in der Gesellschaft eint uns auch viel. Polizei und Kirche reagieren auf gesellschaftliche Entwicklungen und fragen sich, was sie zur Stabilität unserer Gesellschaft beitragen können. Das schauen wir uns gemeinsam an.

Freyher: Das sehe ich auch so. Wir sind zwei unterschiedliche Institutionen, die eine Orientierung geben möchten in einer Zeit, die sehr viele Menschen irritiert. Unsere Schnittmenge sind die Sorgen und Nöte der Menschen. Haben sie soziale oder finanzielle Probleme, sorgen sie sich um ihre Sicherheit, wurden sie Opfer von Kriminalität? All diese Aspekte müssen von verschiedenen Akteuren in der Gesellschaft angegangen werden. Daher ist es wichtig, dass wir unsere Wahrnehmungen abgleichen und erkennen, wo wir komplementär wirken können.

epd: Und für die Polizei spielt Kirche da eine wichtige Rolle?

Freyher: Wir haben einen kirchlichen Beirat, der innerhalb der Polizei für die Verzahnung von Kirche, Polizei, Seelsorge zuständig ist. Der Vereidigung unserer Berufsanfänger ist immer ein Gottesdienst vorgeschaltet, der sehr gut angenommen wird. Und dann hat natürlich die Polizeiseelsorge für uns einen hohen Wert. Da haben Polizistinnen und Polizisten die Möglichkeit zur berufsethischen Reflexion. Auch die Betreuung nach außerordentlichen Einsätzen, die leider zunehmen, ist wichtig für uns. Seelsorge stärkt die Einsatzkräfte und die demokratische Resilienz der Landespolizei Schleswig-Holstein. Dafür bin ich sehr dankbar.

epd: Wie hoch ist denn die Akzeptanz in Ihrer Mitarbeiterschaft für kirchliche Seelsorge?

Freyher: Die Polizeiseelsorge blickt auf eine lange Vergangenheit zurück und hat sich über die Jahrzehnte etabliert. Der Polizeiseelsorger arbeitet ja berufsbezogen, da ist die Akzeptanz sehr hoch.

epd: Tut Kirche in diesem Bereich denn genug?

Freyher: Wir könnten das noch ausbauen. Aber ich bin realistisch und weiß um die Engpässe der Kirche. Ich wünsche mir, dass das Angebot stabil bleibt in den nächsten Jahren.

Steen: Natürlich müssen wir als Kirche schauen, wie wir unsere Mittel einsetzen. Und wir haben sehr viel weniger Fachkräfte als früher. Diese Entwicklung werden wir trotz aller Initiativen nicht umkehren können. Für mich steht aber außer Frage, dass gerade der Bereich der Seelsorge bei Polizei, Feuerwehr und Bundeswehr zu den unaufgebbaren Positionen gehört. Dort erreichen wir Menschen, die unser Angebot brauchen und umsetzen können. Unser großer Vorteil ist, dass wir unabhängig sind von der momentanen politischen Ausrichtung unseres Staates. Wenn jetzt die Bundesregierung wechselt, werden wir unsere Angebote in gleicher Weise aufrechterhalten wie vorher.

epd: Können Sie Beispiele nennen aus dem Job des Polizisten, wo Seelsorge wichtig sein könnte?

Freyher: Schusswaffengebrauch etwa. Das haben wir leider in den letzten Jahren öfter gehabt, zuletzt in Kiel mehrfach. Auch Abschiebungen gehen an Kolleginnen und Kollegen nicht spurlos vorbei. Ich selbst musste das als Polizeibeamtin in den 1990er Jahren tun. Wer empathisch durchs Leben geht, den lässt das nicht kalt, wenn er eine Familie mit kleinen Kindern morgens aus einer Wohnung rausholen und zum Flughafen bringen muss. Auch häusliche Gewalt belastet Kollegen. Oftmals gibt es auch eigene familiäre Probleme, die die Kolleginnen und Kollegen belasten. Und dann kommt noch ein schlimmer Einsatz, etwa ein Verkehrsunfall, hinzu. Das fasst die Einsatzkräfte an und deshalb ist es gut, dass sie selbst angefasst werden, an die Hand genommen werden. Über die Polizeiseelsorge.

Steen: Auch Hate Speech und tätliche Angriffe gegen Polizeibeamte und Rettungskräfte sind ein großes Thema. Wir haben da schon mit einer radikalisierten Situation in unserer Gesellschaft zu tun, die erschreckend ist. Da ist es unsere Aufgabe, einen geschützten Raum anzubieten, in dem man mal reden kann. Das kann ein Seelsorger in besonderer Weise, weil er außerhalb der Systeme steht. Kirche bietet keine Therapie an. Man muss bei uns nicht lange auf einen Platz warten. Manchmal ist es einfach ein Gespräch zwischen Tür und Angel, das aber schon helfen kann.

epd: Das Thema Kirchenasyl, bei dem von Abschiebung bedrohte Flüchtlinge zeitlich befristet Unterschlupf in einer Kirchengemeinde finden, gehört zwischen Ihnen sicher zu den strittigeren Themen. Immer wieder kommt es ja auch mal zu Kirchenasylbrüchen durch die Polizei.

Freyher: Wir müssen erkennen, dass es Zuständigkeitsbereiche gibt, wo wir divergierende Rollen haben. Und da ist die Frage wichtig: Wie gehen wir damit um? Da brauchen wir einen guten Dialog. Ansonsten würden wir auch polarisierende Kräfte bedienen. Und das können wir uns angesichts der stärker werdenden rechtsextremen Kräfte im Land nicht erlauben. Beim Thema Kirchenasyl würde ich mir wünschen, dass die Landespolizei da fair behandelt und nicht stigmatisiert wird. Das wäre fatal.

epd: Fühlten Sie sich in der Vergangenheit bei dem Thema stigmatisiert? Auch von der Kirche?

Freyher: Schleswig-Holstein ist bei Kirchenasylbrüchen nicht so im Fokus. Ich habe die Stigmatisierung der Polizei in anderen Bundesländern miterlebt. Das lag aber nicht an der Kirche, sondern wie der Kirchenasylbruch medial aufbereitet wurde. Bilder von Polizisten, die Familien mit Kleinkindern abschieben, sind natürlich ein Eyecatcher. Da wünsche ich mir ein differenzierteres Bild. Polizistinnen und Polizisten sind da in fragilen Situationen, die sie mit großer Empathie und Professionalität lösen müssen. In der Berichterstattung wird die Polizei oft auf das Gewaltmonopol reduziert. Ich plädiere da für einen fairen Umgang. Das kann aber nicht Aufgabe der Kirche sein.

Steen: Wir haben mehrere Kirchenasyle in Schleswig-Holstein und stehen in sehr engem Austausch mit Ministerien und Polizei. Wir befinden uns alle auf einem rechtsstaatlichen Boden. Das ist total klar und das respektieren wir natürlich auch. Beim Kirchenasyl geht es um extreme Einzelfälle, bei denen es aus bestimmten Gründen aus Sicht unserer Fachleute noch mal Bedarf zur Prüfung gibt. Wir waren in vielen Fällen schon im Vorwege mit allen Akteuren im Gespräch, um zu verhindern, dass der Fall weder eskaliert noch in der Öffentlichkeit groß medial aufbereitet wird. Das dient niemandem und zuallerletzt den vulnerablen Menschen, um die es geht. Unser aller Ziel ist ja, diese bestmöglich zu schützen. Und das, finde ich, gelingt uns in Schleswig-Holstein sehr, sehr gut.