Das Grölen von rechtsextremen Parolen zu dem Party-Song „L’amour toujours“ hat quer durch das Land zu Hunderten von Polizeieinsätzen geführt. Nach Einschätzung des Extremismusforschers Andreas Zick bedienen sich Rechtsextreme gezielt Pop-Songs. Das fällt nach Einschätzung des Wissenschaftlers zunehmend auf fruchtbaren Boden.
epd: Wegen des Grölens von rechtsextremistischen Parolen zu dem Song „L’amour toujours“ kam es Berichten zufolge seit Oktober zu mehr als 300 Polizeieinsätzen. Was ist der Grund dafür, dass der um rechtsextreme Passagen geänderte Partysong eine solch massive Verbreitung findet?
Zick: Die extreme Verbreitung weist auf eine Normalisierung des Rechtsextremismus durch Verharmlosung und Unkenntnis sowie auf eine Akzeptanz von Vorurteilen und Menschenfeindlichkeit in der Mitte hin. Die „Erfolgsgeschichte“ erzählt viel über den Einzug des Rechtsextremismus in die Mitte und die vielen unterschiedlichen Wege, auf denen rechtsradikale Ideologien populär werden. Der Song wurde höchstwahrscheinlich im letzten Jahr über einen Clip zu einem Dorffest in Pasewalk ins Netz gestellt und ist dann wegen der einfachen Melodie und dem Spruch „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“ viral gegangen.
epd: Setzen Rechtsextreme verstärkt auf Popsongs als Propanda?
Zick: Dass Extremisten Popupulärkultur aufgreifen, ist nicht neu. Schon während der Musikbewegung „Neue Deutsche Welle“, die in den 1980ern die deutsche Popkultur prägte, wurden Songs in rechtsextremen Milieus aufgegriffen und mit Hassbildern und ideologischen Parolen verändert. Im digitalen Zeitalter kommen Videos von Songs über den Extremismus und Populismus schneller an und sie stoßen auf eine Mitte, die offen ist.
epd: Wie äußert sich das?
Zick: Neben einem erlebnisorientierten Rechtsextremismus gibt es nun einen erlebnis- und unterhaltungsorientierten Rechtspopulismus, der noch weiter in die Mitte dringt. Das ist erfolgreich, weil diese banale Kultur auch in der Mitte ankommt bei vielen Menschen. Insgesamt gibt es also eine Normalisierung des Extremismus, auch wenn es hier und da nur rechtsextreme Splitter sind. In der Mitte werden Stereotype, Vorurteile, rechtsradikale Ideologie stärker angenommen, weil sie dort auf Ressentiments treffen. Die Verharmlosung, die Rechtfertigung, es sei nur Spaß und Kritik wäre eine „woke Ideologie“ oder ähnliches, befördern den Erfolg.
epd: Der um Parolen ergänzte Song ist schon vor Sylt quer durch das Land aufgegriffen worden. Wird hier bewusst rechtsextremes Gedankengut befürwortet?
Zick: Im Nachhinein werden viele, die mitgemacht haben, sagen, dass sie gar nicht darüber nachgedacht hätten und alles nur ein Spaß war. Es mag Menschen geben, die ohne nachzudenken mitmachen und für die die Zugehörigkeit im Vordergrund steht. Aber, dies ließe sich ja auch komplett ohne rassistische und menschenfeindliche Songs herstellen. Das entwürdigende Motto, das zum Schaden des Künstlers und des Liedes auf den Songtext gesetzt wird, stellt zwei Einstellungen in den Vordergrund, die weit geteilt werden: „Deutschland den Deutschen“ und die Parole „Ausländer raus“. Das sind die Kernideologien des Rechtsextremismus. Mit dem Rechtspopulismus hat dies nun einen weiteren Zugang in die Mitte. Die Härte, mit der Rechtsextreme im Netz auf die Enthüllung und Empörung reagiert haben, entlarvt ihre Ambitionen.
epd: Worin besteht der Kick für die überwiegend jungen Leute, die einen solchen Song mitgrölen?
Zick: Hier gibt es unterschiedliche Motive. Der Tabubruch, das Verstoßen gegen Normen kann eine Rolle spielen, weil Jugend sich mit üblichen Normen reibt. Das gelingt unter Partystimmung leichter und kann ansteckender sein. Ein neuer erlebnisorientierter Populismus, der scheinbare Zugehörigkeit schafft, mag eine Rolle spielen. Dazu gehört auch ein gewisses Ausmaß an Abgestumpftheit gegenüber dem, was da gegrölt wird. Einige junge Menschen geben vor, gar nicht zu verstehen, was ans „Ausländer-raus-Rufen“ so schlimm sei. Eine weitere Rolle spielt aber auch, dass einige junge Menschen ressentimentgeladener eingestellt sind, als viele vermuten.
epd: Wie kommt es dazu?
Zick: Wir haben in unseren Studien nach einigen Jahren wieder eine Verjüngung der Akzeptanz rechtsextremer Einstellungen beobachtet. Es entsteht infolge der Coronapandemie eine neue rechtsradikale Orientierung, die quer durch die Schichten geht. Auffällig ist ja, dass das Sylter Video mit relativ reichen Partygästen dazu geführt hat, dass nach Kritik an der Aktion, Rechtsextremisten, die nicht aus Sylter Milieus kommen, in Social Media Kampagnen gegen Kritiker gefahren haben. Es gibt also daneben eine erlebnisorientierte Allianz von Menschen, die an ausgrenzende nationale Identitäten glauben und rechtsradikale Einstellungen gerne offen teilen. Die Popkultur schafft die Erlebnisplattform für die Gemeinschaft und den Moment.
Und nicht zuletzt fällt auch auf, dass Ältere und Jüngere zusammen das herabwürdigende Lied singen. Die Jungen finden damit Anschluss an die Elterngeneration. Das gemeinsame Event ist die Brücke in die Gesellschaft. Das Herabwürdigen der einen und die Selbstüberhöhung schaffen Anschluss.
epd: Muss in den Sommerferien auf vielen Partys auf Mallorca und anderswo damit gerechnet werden, dass Songs mit rechtsextremen Inhalten noch weiter um sich greifen?
Zick: Wenn ich bedenke, dass nach Studienlage und Wahlen kein geringer Anteil an Menschen das, was so scheinbar lustig in dieser neuen rechtspopulistischen Populärkultur geteilt wird, gut finden, dann ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass es ein großes Dunkelfeld gibt. Direkt nach dem Bekanntwerden des Sylt-Videos gab es bereits enorm viele Meldungen, dass das Lied woanders auch gesungen wurde. Es scheint nicht abzureißen. Vielen macht es immer noch Spaß. Wenn einfache Reizwörter wie „Migration“ und „Nation“ so leicht Triggerpunkte sind oder verletzende stereotype Vorstellungen hervorrufen, dann weist das auf dahinterliegende Kulturen und Strukturen hin.
In sozialen Medien, bei YouTube und anderen Plattformen gibt es große Communitys, die ständig neue Posts produzieren, in denen sich über andere lustig gemacht wird. Es gibt eine Entwürdigungskultur, die täglich neues Material produziert. Der Drang in sozialen Medien, durch immer neue unterhalterische Elemente die Aufmerksamkeit hochzuhalten und Menschen zu binden, hat zu einer radikalen wie menschenfeindlichen Unterhaltungskultur geführt.
epd: Was kann über Polizeieinsätze hinaus gegen eine weitere massive Verbreitung unternommen werden?
Zick: Zuerst haben die Clubs was getan und ein klares Zeichen gesetzt, dass die Toleranz überschritten wurde. Viele Clubs machen jetzt ihre Ordnungen klar und setzen sie durch. Sie wissen, was Beleidigungen und Herabwürdigungen sind. Das lief ähnlich wie im Fußball und an anderen Orten. Clubs wissen auch, dass Opferschutz hohe Priorität hat.
Was noch besser gelingen kann, ist Menschen, die damit verletzt werden, die Anzeige leicht zu machen. Manches an Aktionen sind Hasstaten, was viele nicht wissen. Zudem war es gut, dass das Sylt-Video von Vielen aufgegriffen wurde, um eine klare Haltung zu zeigen bei allen politischen Differenzen. Die Maßnahmen der Strafverfolgung und der Ansprache von Menschen, die mitmachen, können gut überlegt sein. Vieles ist strafrechtlich nicht relevant, daher gilt es umso mehr, die Stereotype, Vorurteile und rassistischen Bilder zu bearbeiten und in Politik, den Unternehmen, den Schulen und vielen anderen Orten das nicht zu verharmlosen.
epd: Ist Nationalstolz, etwa bei Fußballfans, problematisch?
Zick: Mit Blick auf das Eingreifen bei den Popsongs mit rechtsextremen Parolen geht es nicht darum, eine Debatte um Themen wie Spaltung und Nationalstolz zu führen. Hier muss man sich klar in der Sache sein, dass eine zentrale gesellschaftliche Norm verletzt wurde. Es geht auch um die Frage des Anstandes in einer Gesellschaft. Es geht nicht darum, anderen Spaß zu verbieten, was die, die Normen verletzten, immer behaupten. Die Europameisterschaft zeigt, wie andere Länder Spaß an ihrem Land haben, ohne einen banalen Nationalstolz, der davon abhängt, andere auszuschließen.
epd: Wie kann hier eine Prävention aussehen?
Zick: Der Skandal um diese neue verletzende Kultur hat erneut deutlich gemacht, wie leicht das Thema Migration entzündlich ist und populistisch aufgeblasen werden kann. Es fällt Extremisten und Populisten zu leicht, Stimmung zu machen und Empörungswellen zu erzeugen. Sicherlich braucht es auch noch bessere Instrumente der digitalen Vorurteils-, Rassismus- und Extremismusprävention, Aufklärung und Strafverfolgung. Es ist also eine weitere große Kraftanstrengung, die sich aber lohnt, denn starke Demokratien zeichnen sich durch gute Rassismus-, Extremismus- und Gewaltprävention aus.