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Protestgesang vor AfD-Stand bei Bildungsmesse didacta

Bei der Bildungsmesse didacta hat es am Stand der AfD zwei lautstarke Protestaktionen gegeben. Dutzende Menschen forderten singend Widerstand gegen Faschismus. Und es gab eine Liebeserklärung für die Demokratie.

Messehallen sind normalerweise Orte mit einem Grundrauschen: Besucher wuseln durch die Gänge oder unterhalten sich an Ständen und Stehtischen. Doch bei der Bildungsmesse didacta in Stuttgart war am Dienstagmittag in Halle 7 plötzlich lautstarker Gesang zu hören. Wer dem Gesang folgte, fand sich direkt vor dem umstrittenen Messestand der AfD wieder.

Eine Gruppe von mehr als 50 Personen hatte sich vor dem AfD-Stand aufgestellt – und sang nun minutenlang: “Wehrt euch, leistet Widerstand, gegen den Faschismus hier im Land, haltet fest zusammen, haltet fest zusammen!” Die Melodie hatten sich die Demonstranten von dem alten Volkslied “Hejo, spann den Wagen an” entliehen.

Das Volkslied wurde zum Protestlied gegen die in Teilen rechtsextreme AfD umfunktioniert. Zudem trugen einige der singenden Demonstranten ein Banner mit der Aufschrift “Demokratie stärken – Kampf gegen Rechts!”. Die Aktion zog sofort zahlreiche Messebesucher und Medienvertreter an – blieb aber friedlich. Der Stand der AfD wurde für rund 20 Minuten regelrecht verdeckt und fast unsichtbar.

Mitorganisatorin Dorothee Berres von “Teachers for Future” sagte der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA): “Es handelt sich um eine Graswurzelbewegung, die sich aus Ausstellern gebildet hat.” Damit wolle man gegen die Entscheidung der Veranstalter protestieren, den Stand der AfD zuzulassen.

Auch die Bildungsgewerkschaft GEW und Greenpeace seien an der Aktion beteiligt. Das Aktionsbündnis aus Verbänden, Bildungsinstitutionen und Verlagen will nach eigenen Angaben nun an jedem der fünf Messetage “um Punkt 12.00 Uhr für demokratische Werte laut werden”.

Am Nachmittag positionierte sich dann eine andere Gruppe aus drei jungen Leuten mit Corona-Masken vor dem AfD-Stand. Sie hielten ein Banner mit der Aufschrift “AfD raus – die Zukunft gehört uns” und riefen “Nazis raus”. Nun stand schon ein gutes Dutzend Polizeibeamter um die Demonstranten und den AfD-Stand herum. Auch dieser Protest endete aber friedlich.

Für heftige Debatten sorgte bereits im Vorfeld, dass die AfD mit einem Stand auf der didacta vertreten ist. Sie will nach eigenen Angaben ihr Bildungsprogramm vorstellen. Erstmals beteiligen sich politische Parteien als Aussteller an der Messe. Auch die baden-württembergische CDU, die Landes-Grünen, die FDP, die Linke und Volt präsentieren sich in Halle 7.

Die Messe Stuttgart und der didacta-Verband erklärten zur AfD-Präsenz, die Zulassungskriterien der didacta sähen “politische Institutionen” als potenzielle Aussteller vor. Es gebe in den Statuten keine rechtliche Handhabe für einen Ausschluss der AfD. Es gelte die Neutralitätspflicht gegenüber allen Ausstellerinnen und Ausstellern.

Mit einem Aufruf zur Verteidigung der Demokratie gegen extremistische Haltungen war am Dienstagmorgen Europas größte Bildungsmesse eröffnet worden. Bundesbildungsminister Cem Özdemir (Grüne) sagte in einem Video-Grußwort bei der Eröffnungsfeier: “Es geht darum, ob wir den Gegnern der Demokratie die Stirn bieten oder uns von ihnen ausbooten lassen.”

Baden-Württembergs Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne) warnte, wenn das, was im “Portfolio” der AfD gefordert werde, um sich greife, “dann gute Nacht!”. Der Partei gehe es etwa darum, im Geschichtsunterricht die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus zu reduzieren.

Die Kultusministerin betonte zudem, dass in der Schule zwar Kontroversen abgebildet und unterschiedliche Standpunkte diskutiert werden müssten – allerdings “ohne falsche Neutralität”. Lehrkräfte müssten “für die Demokratie einstehen”, forderte Schopper. Man müsse dafür kämpfen, dass “die Ewiggestrigen” alt aussehen.

Auch Monika Stein, GEW-Landesvorsitzende in Baden-Württemberg, betonte: “Lehrkräfte oder Erzieherinnen und Erzieher müssen und dürfen nicht neutral sein.” Wenn es um Vielfalt und Demokratie gehe, “brauchen wir Personen in den Kita-Gruppen und Klassenzimmern, die mutig für die Werte unserer Demokratie einstehen”.

Dies tut auch die ARD-Journalistin Natalie Amiri, die viele Jahre aus dem Iran und aus Afghanistan berichtete. In ihrer Rede bei der Eröffnungsfeier sagte Amiri, sie habe in diesen repressiven Ländern ohne Pressefreiheit die Demokratie in Deutschland sehr schätzen gelernt. Das Credo der Journalistin: “Ja, ich liebe die Demokratie.”