BERLIN/DÜSSELDORF – In die Pflegedebatte kommt Bewegung von zwei Seiten. Die Pflegekassen stehen in diesem Jahr vor einem deutlich höheren Defizit als erwartet, wie der GKV-Spitzenverband in Berlin mitteilte. Zugleich werden Vorschläge, schnell etwas für mehr Pflegekräfte zu tun, dringlicher – und teurer. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) will 13 000 statt wie bisher angekündigt 8000 neue Stellen in Pflegeinrichtungen. Pflegeheime sollen je nach Bewohnerzahl eine halbe bis anderthalb zusätzliche Fachkraftstellen finanzieren können. Angesichts des Defizits in der Pflegekasse rechnet er mit Beitragserhöhungen schon 2018.
Die Pflegeversicherung erwartet Mehrausgaben von rund zwei Milliarden Euro. Damit steigt das Defizit über die bisher eingeplante eine Milliarde Euro auf drei Milliarden. Die Rücklagen sinken von 9,3 auf 6,9 Milliarden Euro bei Jahresausgaben von 35,5 Milliarden Euro. Gründe für das steigende Defizit sind nach Angaben des GKV-Spitzenverbandes ein stärkerer Anstieg der Pflegeempfänger und höhere Leistungen.
Gesundheitsminister Spahn begrüßte, dass die Reformen griffen und mehr Menschen Leistungen bekämen. Zugleich kündigte er einen „Kassensturz“ an. Ein Defizit von drei Milliarden Euro in der Pflegekasse entspräche einer Beitragsanhebung von mindestens 0,2 Prozentpunkten, die spätestens im nächsten Jahr benötigt würden, sagte er. Die durchaus vorhandene Bereitschaft in der Gesellschaft, mehr für die Pflege auszugeben, werde „dann eben auch konkret“.
Alle Vorschläge zur Verbesserung der Pflege müssten auch finanziert werden, sagte Spahn, Sofortmaßnahmen ebenso wie längerfristige Verbesserungen, über die in der „Konzertierten Aktion Pflege“ beraten werde. Dazu zähle auch der Vorschlag des Pflegebeauftragten, Prämien für Fachkräfte zu zahlen.
Der Pflegebeauftragte der Bundesregierung, Andreas Westerfellhaus, will Prämienzahlungen für Pflegekräfte, die in den Beruf zurückkehren, ihre Arbeitszeit erhöhen oder nach der Ausbildung direkt in eine Festanstellung wechseln. Sie sollten zwischen 3000 und 5000 Euro liegen und aus Steuern finanziert werden, sagte er der in Düsseldorf erscheinenden „Rheinischen Post“. Er veranschlagte dafür Ausgaben von 570 Millionen Euro im ersten Jahr und 345 Millionen in den Folgejahren. Das Programm soll zwei bis drei Jahre lang für mehr Personal sorgen und auch Arbeitgebern zugutekommen. Der Vorschlag löste in der Branche ein geteiltes Echo aus.
Die Deutsche Krankenhausgesellschaft erklärte: „Wir begrüßen jeden Schritt, der dem Fachkräftemangel entgegenwirkt.“ Schon heute würden von Kliniken zum Teil Prämien bezahlt, um Pflegekräfte zu gewinnen. Wichtig sei, dass „wir eine ausreichende Refinanzierung erhalten und das Ergebnis nicht eine Umverteilung von vorhandenen Pflegekräften ist, sondern wirklich mehr Menschen in diesem Bereich arbeiten“.
Eugen Brysch, Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, ging auf Distanz zu Westerfellhaus‘ Plan. Er verspreche einen kurzfristigen Geldregen für Berufsrückkehrer und Einsteiger, jedoch fehle ein solides pflegepolitisches Konzept für die Zukunft.
Die Arbeiterwohlfahrt ist ebenfalls skeptisch. Bundesvorsitzender Wolfgang Stadler sagte, der Fachkräftemangel in der Pflege lasse sich nicht mit einmaligen Geldgeschenken bekämpfen. „Prämien haben nur einen kurzfristigen Effekt.“ Die Lösung für dauerhaft mehr Fachkräfte liege darin, einen allgemeinverbindlichen Tarifvertrag in der Pflegebranche einzuführen und so höhere Gehälter zu erreichen.
Der Präsident des Bundesverbandes privater Anbieter sozialer Dienste, Bernd Meurer, begrüßt die Überlegungen des Pflegebeauftragten: „Jede Maßnahme, die dazu beiträgt, den Pflegenotstand abzumildern, ist wichtig.“ Jedoch müsse auch an anderen Stellschrauben gedreht werden. Man müsse „mehr Anstrengungen unternehmen, um Pflegekräfte aus dem Ausland anzuwerben und ihre Anerkennung zu beschleunigen“. Der Paritätische Gesamtverband begrüßt die Vorschläge, mahnte aber ebenfalls weitere Verbesserungen für Pflegende an.
Nach Angaben der Bundesregierung fehlen in der Pflege aktuell 25 000 Fachkräfte in Kliniken und Pflegeeinrichtungen sowie weitere 10 000 Hilfskräfte. Sozial- und Berufsverbände sowie Gewerkschaften gehen von deutlich höheren Zahlen aus. epd/UK
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Pläne und Erwartungen
Kasse vor Milliardendefizit. Weitere Kosten durch Pläne des Bundesgesundheitsministeriums und Prämien-Modell des Pflegebeauftragten. Verbände werben für bessere Bezahlung aller Pflegekräfte