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Organisationen fordern: Kein Schlussstrich unter Holocaust-Gedenken

Die christliche Versöhnungsbewegung „Marsch des Lebens“ und das US-amerikanische „Simon Wiesenthal Center“ haben gefordert, keinen Schlussstrich unter das Gedenken an den Holocaust zu ziehen. Der Gründer und Präsident des „Marsch des Lebens“, der evangelische Theologe Jobst Bittner, sprach bei einer Gedenkveranstaltung am Mittwoch in Berlin von einer weitgehend misslungenen Entnazifizierung nach 1945. Nur wenige Täter seien zur Rechenschaft gezogen worden. Die „Stunde Null“ sei für den größten Teil der Bevölkerung ein großer Schlussstrich unter einer Vergangenheit gewesen, über die niemand etwas wissen wollte oder daran beteiligt war.

Bittner sprach von einer „Decke des Schweigens“, erinnerte aber auch an historische Zeichen der Aussöhnung wie das Treffen von Bundeskanzler Konrad Adenauer mit dem israelischen Ministerpräsidenten David Ben-Gurion 1960 oder Willy Brandts Kniefall in Warschau 1970. Er forderte, dass Gedenken „nicht nur rückwärtsgewandt“ sein dürfe, sondern auch eine Brücke in die Gegenwart und Zukunft schlagen müsse.

Der Vorstand der Evangelischen Allianz in Deutschland, Reinhardt Schink, mahnte: „Wir Deutschen sind zu Mitwissern und Tätern eines Vernichtungskriegs geworden.“ Er verwies auf eine theologisch begründete Judenfeindschaft, die weit in der Kirchengeschichte zurückgehe. Der Aussage „nie wieder ist jetzt“ müssten Taten folgen. Deshalb werde man keinen Schlussstrich ziehen, sondern ein „Ausrufezeichen setzen, indem wir die Erinnerung bewahren und den Antisemitismus bekämpfen“.

Der Vize-Dekan des in Los Angeles ansässigen Simon Wiesenthal Center, Rabbi Abraham Cooper, sprach mit Blick auf die vor 80 Jahren befreiten Konzentrationslager von einer „menschengemachten Hölle, gefertigt von kaltblütigen Technokraten“. Die lebendige jüdische Kultur in Europa sei für immer verloren gegangen.

Der interimsmäßige Geschäftsträger der US-Botschaft in Deutschland, Alan Meltzer, erinnerte an die unfassbaren Gräuel, welche die US-Soldaten 1945 in den befreiten Konzentrationslagern vorgefunden haben. Gleichzeitig sei Deutschland heute einer der „engsten Verbündeten – nicht durch Zufall, sondern aus Überzeugung“. Die deutsche Erinnerungskultur habe ihn tief berührt.

An der Gedenkveranstaltung nahmen neben mehreren Bundestagsabgeordneten auch jüdische Studierende aus mehreren Ländern teil. Für Mittwochnachmittag war ein „Marsch des Lebens“ vom Anhalter Bahnhof zum Brandenburger Tor in Berlin geplant.

Die Bewegung „Marsch des Lebens“ mobilisiert nach eigenen Angaben seit 18 Jahren, um gegen Antisemitismus und für Israel auf die Straße zu gehen. Das 1977 gegründete Simon Wiesenthal Center setzt sich weltweit für Holocaust-Aufklärung ein und beschäftigt sich unter anderem mit Rassismus, Antisemitismus und Terrorismus.