Das Sprichwort, Gras über eine Sache wachsen zu lassen, ist in Deutschland gelebte Praxis. Vor allem, wenn es um historische Bauwerke, Monumente und Denkmäler geht, die an problematische Zeiten wie Kolonialismus und Faschismus erinnern. „Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden viele Monumente und Bauten des Nationalsozialismus sich selbst überlassen und von der Natur überwachsen“, sagte Margit Kern, Professorin für Kunstgeschichte an der Universität Hamburg dem Evangelischen Pressedienst (epd).
Wie in der Nachkriegszeit würden derzeit häufiger Pflanzen eingesetzt, um historisch belastete Gebäude umzugestalten. „Diese Strategie erlebt eine erstaunliche Renaissance“, erklärte Kern. Doch die Hoffnung auf „Neutralisierung“ von schwierigem Erbe durch Grün sei trügerisch, sagte die 56-jährige Wissenschaftlerin.
Bei Denkmälern und Bauwerken, die menschenverachtende Ideen und Werte propagieren, gehe es immer wieder um die Frage, wie diese heute im öffentlichen Raum eingebunden werden können. „Lange wurde die Strategie, schwierige Bauten zuwachsen zu lassen, als Verdrängung angesehen“, betonte Kern, die seit 2018 zu dem Thema forscht. Angesichts der Klimakrise werde Natur aktuell auch als etwas Positives gesehen, das schwieriges Erbe umformen und aufheben könne.
Ein Beispiel ist der jüngst eröffnete grüne Bunker am Heiligengeistfeld in Hamburg. Der Flakturm aus dem Zweiten Weltkrieg wurde aufgestockt, Dachgärten, Restaurants und Hotel wurden eröffnet. Bewerten will die Wissenschaftlerin das Konzept noch nicht: „Es hängt sehr viel davon ab, wie sich der Ort weiter entwickelt und ob das Gedenkkonzept auch als solches wahrgenommen wird oder in den Hintergrund rückt.“
Als sehr gut bewertet Kern die Architektur des Dokumentationszentrums in der Nürnberger Kongresshalle auf dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände. Allein durch die formalen Mittel der Umgestaltung und anderen Materialien wie Glas, Beton und Aluminium werden „sichtbare Zweifel an der Monumentalität des Baudenkmals aus der NS-Zeit zum Ausdruck gebracht“, sagte die Kunsthistorikerin.
Eine generelle Strategie gebe es bei diesem Thema jedoch nicht. Kern: „Wie die politische Aussage bei der Umgestaltung eines Monuments konturiert wird, lässt sich nur im konkreten Fall bewerten.“ Grundsätzlich gebe es aber im Moment viele Überlegungen und Bemühungen, urbane Räume an den Klimawandel anzupassen. Kern: „Bei der Umgestaltung von Monumenten kann auch dieser Aspekt eine Rolle spielen.“ Dabei sei es aber enorm wichtig, dass die politische Bedeutung von Natur und Pflanzen nicht unbeachtet bleibt. Kern: „Die Eiche ist zum Beispiel ein Baum, der schon im 19. Jahrhundert zum deutschen Nationalsymbol erklärt wurde und heute im öffentlichen Raum kaum ohne diese Bedeutungsebene wahrgenommen werden kann.“