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Nach 102 Jahren

Angelika Günzel leitet das in diesem Jahr neu geschaffene Militärrabbinat. In diesem Monat beginnen die beiden ersten Militärrabbiner mit ihrem Dienst

Von Roger Töpelmann

In diesem Monat kommen die ersten Militärrabbiner ins Amt. Damit werden nach 102 Jahren wieder jüdische Geistliche in deutschen Streitkräften ihren Dienst versehen. Seit diesem Jahr gibt es in der Bundeswehr eine institutionalisierte Seelsorge für jüdische Soldaten. Die letzten schieden 1919 aus dem deutschen Heer. In der ­Weimarer Republik und im Nationalsozialismus gab es ­offiziell keine Soldaten jüdischen Bekenntnisses. 

Angelika Günzel (48) leitet seit Juni das neu geschaffene Militär­rabbinat in Berlin mit Außenstellen in Hamburg, Köln, Leipzig, München und Potsdam-Schwielowsee. Die promovierte Juristin und Verfassungsrechtlerin studierte Rechtswissenschaften in Trier, war dort wissenschaftliche Mitarbeiterin. Den­ ­juristischen Vorbereitungsdienst leistete sie teils am Obersten Gerichtshof in Israel ab. ­Danach arbeitete sie als Vorstandsreferentin bei der Alexander von Humboldt-Stiftung in Bonn und wurde 2014 Professorin an der Hochschule des Bundes für öffent­liche Verwaltung.  

Angelika Günzel legt besonders Wert auf die Seelsorge. „Wir haben immer gesagt, wie wichtig es ist, bei den Einsätzen dabei zu sein“, sagt die orthodoxe Jüdin. Deshalb wird einer der ersten Militärrabbiner in Kürze beim Einsatzführungs­kommando in Schwielowsee/Potsdam eingesetzt. Von hier aus führt die Bundeswehr alle im Ausland tätigen Soldatinnen und Soldaten. 

Ihren Dienst in der Gemeinde aufgeben

Eine weitere Stelle will Günzel an der Sanitätsakademie der Bundeswehr in München schaffen. Das Kompetenzzentrum sticht vor allem durch ­internationale Kooperationen in ­Forschung, Entwicklung, Ausbildung und mit dem medizinischen ABC-Schutz hervor. Ob daraus eine halbe oder eine volle Personalstelle wird, ist noch nicht entschieden. Doch hier zeigt sich eine Heraus­forderung: 

Die jüdischen Seelsorger müssen für ihren Dienst ihre Gemeinden vor Ort aufgeben – zumindest die, die eine ganze Stelle einnehmen werden.  

Doch Günzel bleibt ­optimistisch, was die bis zu zehn Stellen für ­Rabbiner*innen angeht: „Mich reizt die Praxis der Umsetzung.“ Schon deshalb war sie als Staatsreligionsrechtlerin an den Vertragsverhandlungen zur Regelung der jüdischen Militärseelsorge des Zentralrates der Juden in Deutschland mit der Bundesrepublik Deutschland beteiligt.

Ganz praktisch kümmert sich die Militärrabbinatsleiterin um die Lebenswirklichkeit der Soldaten. „Wenn man ­traditionell jüdisch lebt, lässt sich das im Militär manchmal schwer verwirklichen“, beschreibt Angelika Günzel die Anforderungen an eine koschere Verpflegung. „Wir setzen zuerst einmal bei den großen Kasernen an und planen, dort abgepacktes koscheres Essen anzubieten. Für den Einsatz prüfen wir die Möglichkeit, koschere EPas verfügbar zu machen.“ Das sind Einmann­­pack­ungen zur individuellen Verpflegung, wie sie die US-Army als ­Essensrationen für ihre jüdischen Soldaten gebraucht.

Gebetsbuch wird entwickelt

Wegen höherer Kosten wird es ­vorerst bei einem Angebot bleiben. Denn wie gefragt das rituell zubereitete Essen sein wird, lässt sich noch nicht sagen. Viele Juden wollen ihre Religionszugehörigkeit nicht offenlegen. „Irgendwann wissen wir mehr“, sagt Günzel. Aber die ­jüdischen Bundeswehrangehörigen nähmen dabei ein Grundrecht in ­Anspruch. Demnach komme es auf die Zahl der jüdischen Soldaten nicht entscheidend an. Und: „Wir halten uns an die davidische Tradition, dass im ­Judentum nicht gezählt werden soll“, so Angelika Günzel.

Die Militärrabbinatsleiterin ist momentan außerdem dabei, ihren eignen Mitarbeiterstab aufzubauen. Sie muss Referatsleiterinnen und ­Referenten finden und nicht zuletzt Ritualgegenstände und entsprechende Fachliteratur zur Verfügung stellen. Ein erstes Ziel: die Herausgabe einer Feldagende und eines ­Gebetbuches. Ganz praktisch stellt sich auch die Frage, wann ein Soldat eine Kippa tragen darf.