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Margot Friedländers Buch bewegt auch heute noch

Das autobiografische Werk der Holocaustüberlebenden Margot Friedländer beschreibt ihre Fluchtjahre und ihre Deportation. Die mahnende Botschaft ihres Zeitzeugnisses ist heute aktueller denn je.

Margot Friedländer tritt als Holocaust-Überlebende, Autorin und Zeitzeugin mit unermüdlichem Engagement gegen das Vergessen des NS-Terrors ein
Margot Friedländer tritt als Holocaust-Überlebende, Autorin und Zeitzeugin mit unermüdlichem Engagement gegen das Vergessen des NS-Terrors einImago / epd

Zu den schönsten Erinnerungen im vergangenen Jahr gehören die ­Begegnungen mit Margot Fried­länder. Immer wieder einmal eine Veranstaltung, die die ebenso ­liebenswürdige wie energische
ältere Dame mit ihrer Präsenz beehrte, stets perfekt und elegant gekleidet, wenige Worte oft nur, aber doch solche, die man nicht vergisst.

Die in Berlin als Anni Margot Bendheim geborene Frau kehrte 2010 nach langen Jahren in New York wieder nach Berlin zurück, wo sie inzwischen in sagenhaftem Alter in einer Seniorenresidenz lebt. Ihre Erinnerungen an die Zeit, in der sie sich als Jüdin in Berlin verstecken musste, erschienen schon vor ­vielen Jahren, aber sie lohnen die erneute Lektüre und ganz gewiss die Erstlektüre für die, die das Buch noch gar nicht kennen.

Friedländers Mutter und Bruder starben in Auschwitz

Der Titel des schwungvoll erzählten Bandes stammt aus dem vielleicht dramatischsten Moment im Leben von Margot Friedländer, mit dem der Bericht auch beginnt: Als sie sich am Abend des 20. Januar 1943 mit ihrer Mutter und ihrem Bruder Ralph noch einmal in der Kreuzberger Wohnung treffen ­wollte, um letzte Vorbereitungen für die gemeinsame Flucht vor der Gestapo aus Berlin zu treffen, erfuhr sie, dass ihr Bruder kurz zuvor abgeholt wurde. Und auch die Mutter erscheint nicht; sie hatte sich der Polizei gestellt, um ihren Sohn in die Deportation zu begleiten (beide wurden in Auschwitz ermordet).

Nachbarn übermitteln der fassungslosen Tochter mündlich eine Botschaft der Mutter: „Ich habe mich entschlossen, zur Polizei zu gehen. Ich gehe mit Ralph, wohin immer das auch sein mag. Ver­suche, dein Leben zu machen.“ Man hält beim Lesen den Atem an, bei der Schilderung der fürchterlichen Gefahren in 15 Monaten Untergrund, bevor Margot Friedländer entdeckt wird und nach Theresienstadt deportiert wird. Aber mindestens genauso schrecklich sind die Erfahrungen in den Kinderjahren nach 1933, zusätzlich verschlimmert durch die Scheidung der ­Eltern.

Margot Friedländers Buch schließt mit dem ersten Wieder­sehen der alten Kreuzberger Wohnungsadresse nach Demütigung, ­Illegalität, Deportation und Emigration im Jahre 2003. Was für ein Glück, sie schon so lange wieder in ihrer Heimatstadt zu haben. Aber wie notwendig auch, auf ihre ­Warnungen zu hören. Wieder scheint es möglich, dass eine ­Demokratie ­verloren gehen kann und wieder werden jüdische ­Menschen in aller Öffentlichkeit angegriffen und ­beleidigt.

Margot Friedländer (mit Malin Schwerdtfeger), „Versuche, dein Leben zu machen“. Als Jüdin versteckt in Berlin, 19. Auflage, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag, 2024