Direkt aus dem Gazastreifen dringen derzeit nur wenige Nachrichten nach draußen. Derzeit macht sich der Leiter der Diakonie Katastrophenhilfe, Martin Keßler, ein Bild von der Lage vor Ort.
Sechs Wochen lang hat die Waffenruhe zwischen Israel und der palästinensischen Terrororganisation Hamas gehalten. Nun ist offen wie es weitergeht. Während Tausende Menschen in ihre meist komplett zerstörten Häuser zurückkehren, erhöht Israel den Druck auf die Hamas. Unterdessen haben die arabischen Staaten über einen Wiederaufbau des Gazastreifens beraten – nachdem US-Präsident Donald Trump mit seinen Plänen von einer “Riviera des Nahen Ostens” für Schlagzeilen gesorgt hatte. Journalisten bleibt der Zugang zum Gazastreifen verwehrt. Der Leiter der Diakonie Katastrophenhilfe, Martin Keßler, macht sich derzeit vor Ort ein Bild von der Lage und schildert im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) seine Eindrücke.
Frage: Herr Keßler, wie erleben Sie die Stimmung der Menschen im Gazastreifen?
Antwort: Als sehr gemischt. Einerseits sind die Menschen froh, dass sie aufatmen können. Andererseits schauen sie auf die politischen Entwicklungen, die sehr unsicher sind. Sie wollen keinen Krieg mehr und haben natürlich Angst, dass die Kämpfe wieder aufflammen.
Frage: US-Präsident Donald Trump hat kürzlich mit seinen Plänen für den Wiederaufbau des Gazastreifens als “Riviera des Nahen Ostens” für Schlagzeilen gesorgt, die arabischen Staaten haben soeben eigene Vorschläge vorgelegt. Bekommt die Bevölkerung von alledem etwas mit?
Antwort: Von Trumps Vorhaben wissen die Menschen natürlich. Aber das belächeln sie eher und sagen: Was ist das für ein absurder Plan! In den vergangenen Monaten hat die Bevölkerung eine unvorstellbare Belastungsfähigkeit trotz jeder Zerstörung und Hoffnungslosigkeit gezeigt. Da wird jetzt niemand wegziehen wollen, um Platz für die Pläne von Trump zu machen.
Frage:Wie steht es aktuell um die gesundheitliche Versorgung und den Zugang zu Lebensmitteln?
Antwort: Israel hat wohl schon die Hilfslieferungen gestoppt. In den vergangenen Wochen allerdings, also während des offiziellen Waffenstillstands, sind eine ganze Menge mehr Güter in den Gazastreifen gekommen. Israel sagt sogar: mehr als notwendig. Aber das kann ich nicht beurteilen. Jedenfalls sind viele Dinge des täglichen Bedarfs deutlich billiger geworden. Ein Sack mit 25 Kilo Reis – das reicht für eine Familie vielleicht eine Woche lang – kostete zwischenzeitlich bis zu 500 Euro. Der Preis für Salz hatte sich verdreihundertfacht. Gerade jetzt ziehen die Lebenshaltungskosten wieder an – ausgerechnet im Fastenmonat Ramadan, wo die Familien sich beim abendlichen Fastenbrechen auch einmal etwas mehr als sonst üblich gönnen wollen.
Frage: Wie ist es um die Infrastruktur bestellt? Bilder aus dem Gazastreifen zeigen großflächige Zerstörungen, die Vereinten Nationen sprechen von 50 Millionen Tonnen Trümmern, die irgendwie beiseitegeschafft werden müssen.
Antwort: Im Norden des Gazastreifens soll laut Aussage von Bewohnern gar nichts mehr stehen. Ich bin gerade in Deir al-Balah in der Mitte des Gazastreifens. Auch dort ist die Zerstörung groß. Die Straßen sind durch Panzer aufgerissen oder durch Überschwemmungen weggespült, ausgebrannte Fahrzeuge liegen am Rand. Überall ragen Eisenträger in die Luft, wo früher Häuser standen. Nachts bleibt es dunkel; Wasser fließt keines, Strom auch nicht.
Frage: Israel hat gedroht, die Wasser- und Stromzufuhr ganz zu kappen, sollte sich die Hamas nicht handlungsbereit zeigen.
Antwort: Genau das habe ich in einem Meeting mit unseren Partnern angesprochen. Die haben daraufhin mit verständlichem Sarkasmus nur gesagt, dass sie seit 15, 16 Monaten ohne Strom und fließend Wasser leben. Die konnten gar nicht glauben, dass man da überhaupt noch irgendetwas abstellen kann.
Frage: Was können Sie als Hilfsorganisation tun?