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Konstruktiver Protest

Wolfgang Huber: „Gezielte Regelverletzungen gehören zu reifer Demokratie“

Auch in nordrhein-westfälischen Städten gehen Schülerinnen und Schüler freitags auf die Straße, um für Klimaschutz zu demonstrieren. Dass die 16-jährige Schwedin Greta Thunberg in Berlin an den Schülerprotesten für ein besseres Klima teilgenommen hat, hat die Aufmerksamkeit für das Anliegen der jungen Demonstranten noch einmal deutlich erhöht. Die Politik diskutiert, ob das Schuleschwänzen ein vertretbares Mittel ist, da in Deutschland eigentlich die Schulpflicht gilt. Der Berliner Altbischof und ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Wolfgang Huber, sieht in dem „kalkulierten Unterrichtsboykott“ eine legitime Regelverletzung.

Wie sehen Sie die „Fridays for Future“-Bewegung?
Verglichen mit den Auswüchsen manch anderer Demonstrationen wirken die Proteste von „Fridays for Future“ sehr konstruktiv. Sie formulieren Anforderungen an einen starken Staat und fordern, dass das Pariser Klimaabkommen als internationales Abkommen endlich umgesetzt wird. Der Grund des Protests ist die Erwartung, dass die Pariser Klimaziele eingehalten werden. Ich bejahe diese Initiative inklusive des zarten Elements von zivilem Ungehorsam.

Sie verzeihen den Schülern also auch, dass sie die Schule schwänzen?
Es ist ein kalkulierter Unterrichtsboykott. Zu einer reifen Demokratie können gezielte Regelverletzungen gehören, wenn die Stimme von Betroffenen nicht genug gehört wird – unter der Voraussetzung, dass Gewaltfreiheit gewahrt und die mit der Regelverletzung verbundenen Konsequenzen getragen werden.

Finden Sie, dass die Bundespolitik adäquat auf die Proteste Zehntausender Schüler reagiert?
Die Stimmen decken das ganze Spektrum ab – von voller Unterstützung bis hin zu der Aussage von FDP-Chef Christian Lindner, die Klimapolitik besser den Profis zu überlassen. Diese Äußerung war für mich inakzeptabel. Ich bin froh, dass die „Profis“ unverzüglich den Aufruf „Scientists for Future“ unterschrieben haben. Ich habe das auch getan. Professionalität soll uns allen dazu dienen, unsere demokratische Verantwortung besser wahrzunehmen. Aber sie soll nicht an die Stelle der demokratischen Verantwortung treten. epd