Erfolgreiche Integration muss bei der Jugend anfangen, findet Ramona Hinkelmann und organisiert dafür Veranstaltungen in Berlin und Brandenburg
Von Friederike Höhn
Mehr als ein Viertel aller Schutz – suchenden, die im Jahr 2016 nach Deutschland kamen, sind unter 18 Jahre alt. Sie gehen hier zur Schule, lernen die Sprache meist viel schneller als ältere Menschen und viele von ihnen werden hier eine Ausbildung oder ein Studium beginnen, in Deutschland eine neue Heimat finden. Dazu gehören auch Freundschaften und Beziehungen zu anderen jungen Menschen.
Doch außerhalb der Schule gibt es kaum Räume der Begegnung für Jugendliche mit und ohne Fluchterfahrung. Dabei muss Integration genau hier ansetzen, findet Ramona Hinkelmann: „Sonst sitzen wir in 20 Jahren in einer Parallelgesellschaft.“ Die 32-jährige Kulturwissenschaftlerin arbeitet in Brandenburg für den Bund der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ) in der Diözese Berlin. Ihr Projekt heißt „Lebenswege Heimat neu gedacht“ und bringt junge Menschen mit und ohne Fluchtgeschichte, mit und ohne religiösen Hintergrund zusammen, um gemeinsam über Heimat nachzudenken und Projekte zur Mitgestaltung zu starten.
Gemeinsam rappen erweitert den Horizont. In Hoppegarten hat sie zum Beispieldie örtliche Gemeindejugend mit jugendlichen Bewohnerinnen und Bewohnern einer Gemeinschaftsunterkunft zusammengebracht. „Die sind erst mal aufeinandergeprallt“, erzählt sie. Doch nachdem einige kulturelle Fragen geklärt waren, rappten sie zusammen. „Da spielte es keine Rolle mehr, wer Geflüchteter war und wer nicht.“ Darum geht es ihr: Berührungsängste abbauen und den Horizont erweitern. Die Jugendlichen treffen sich weiterhin und wollen ein gemeinsames Projekt auf die Beine stellen.
Was ist das eigentlich – Heimat? Seit diesem Jahr gibt es ein Bundesministerium für Heimat, zuständig auch für Integration und Migration. Für Minister Horst Seehofer (CSU) geht es bei Heimat „um die Verankerung und Verwurzelung, um ein kulturell angestammtes Umfeld in einer globalisierten Welt“, wie er in einer Rede vor dem Bundestag sagte. „Heimat ist ein Gefühl“, schrieb die Schriftstellerin Lena Gorelik vor kurzem in einem Essay für die „Zeit“. Sie ist selbst im Alter von elf Jahren aus Russland nach Deutschland gekommen. Im Buch Exodus irrt das Volk Israel 40 Jahre durch die Wüste, um ihre neue Heimat zu erreichen. Mose, Aaron und Co. suchen nicht nur ein Zuhause, Heimat ist für sie ein Sehnsuchtsort.
Ramona Hinkelmann geht alltagstauglich an das Thema heran: Was fehlt euch vor Ort, was sollte verändert werden? Darüber will sie junge Menschen ins Gespräch bringen, um Heimat aktiv mitzugestalten. Um das zu erreichen, hat sie unter anderem Ende Mai eine Stadtrallye durch Berlin veranstaltet, verbunden mit einem zweitägigen Camp in Friedrichshagen. „Bildung ohne formalen Charakter“, nennt sie ihren Ansatz.
In spielerischen Aufgaben, Rätseln und Mini-Workshops erkundeten etwa 15 Jugendliche in kleinen Gruppen die Stadt. „Fahrt in Polens Hauptstadt und öffnet dort den nächsten Brief“ lautete die erste Anweisung. Ganz klar: auf zur Warschauer Straße in Berlin-Friedrichshain. Von dort ging es weiter zur East-Side-Gallery. Gemeinsam sollte ein Bild ausgesucht werden, das Frieden symbolisiert. Fotos machen, Passanten fragen, ins Gespräch kommen, das bringt die Gruppen zusammen.
Weitere Stationen führen unter anderem zur Christlichen Arbeiterjugend und zur Malteser Jugend. Bei den Nachwuchssanitätern gab es eine kleine Einführung in die Erste Hilfe. Für viele Jugendliche mit Fluchterfahrung ist das Konzept des ehrenamtlichen Engagements etwas komplett Neues. „Da ratterte es in den Köpfen“, sagt Ramona Hinkelmann. Genau so solle es sein. Auch das ist ein Teil von Heimat.
Neue Freunde finden Zur Heimat gehört aber auch die Vergangenheit: An der Synagoge am Fraenkelufer trafen sich die Jugendlichen mit Mitgliedern der Jüdischen Gemeinde und löcherten sie mit Fragen zu Religion und Glauben. Sechs Stationen gab es insgesamt. Am Abend tauschten sich alle Gruppen aus, zeigten ihre Fotos und erzählten von ihren Erlebnissen. Khava war eine von ihnen. Die 19-Jährige lebt in der Gemeinschaftsunterkunft in Hoppegarten. Eine Freundin hatte ihr von der Stadtrallye erzählt und sie haben zusammen mitgemacht. „Ich wollte gerne neue Leute kennenlernen und auch mein Deutsch verbessern“, sagt sie. Das hat geklappt. Mit zwei Mädchen hat sie weiterhin Kontakt. Und was fördert das Sprachenlernen mehr als eine Freundschaft?
Auch Ramona Hinkelmann ist zufrieden. „Der Austausch und die Aufarbeitungsrunde waren toll, da ist so viel passiert in den Köpfen.“ Ende August wird es eine neue Runde geben. „Das Programm wird ähnlich sein, aber ein paar neue Stationen kommen dazu“, verrät sie.