Rund die Hälfte der Menschen in Deutschland nehmen nach Erkenntnissen des Expertenkreises Muslimfeindlichkeit den Islam als Bedrohung wahr. Das von der Bundesregierung berufene Gremium hat in Berlin seinen Abschlussbericht übergeben, wonach etwa jeder und jede Zweite hierzulande muslimfeindlichen Aussagen zustimmt. So würden Muslime als besonders fremd wahrgenommen oder als Angehörige einer „rückständigen“ Religion. Ihnen werde eine mangelnde Integrationsfähigkeit unterstellt und eine Affinität zu Gewalt, Extremismus und Frauenfeindlichkeit. Dafür tragen laut Bericht die Medien eine Mitverantwortung.
Der unabhängig arbeitende Expertenkreis wurde nach dem tödlichen Anschlag von Hanau vom damaligen Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) berufen. Am 19. Februar 2020 hatte ein 43-Jähriger im hessischen Hanau neun Menschen erschossen, die ausländische Wurzeln hatten. Die Staatssekretärin im Innenministerium, Juliane Seifert, nahm den Bericht entgegen. Sie würdigte ihn als erste systematische Befassung mit Muslimfeindlichkeit.
Stereotypen gelten als “sagbar”
Den Sachverständigen zufolge sind „mediale Islamdiskurse seit Jahrzehnten von einer einseitigen Negativtendenz gekennzeichnet“. Dabei gebe es „deutliche Parallelen zur negativen Islamwahrnehmung der deutschen öffentlichen Meinung“, hieß es. Die Sachverständigen schlagen daher vor, Muslimfeindlichkeit in den Pressekodex aufzunehmen, der ethische Standards für die tägliche Arbeit von Journalisten enthält. Konkret empfehlen sie eine Erweiterung der Richtlinie 12 im Kodex, die sich mit Diskriminierungen befasst, um Muslimfeindlichkeit.
Auffällig ist laut Bericht, dass „muslimfeindliche stereotype Aussagen noch immer zahlreich sind und als sagbar gelten können, während sie in anderen Bereichen viel stärker sanktioniert werden“. So habe eine Gesellschaft, die das N-Wort zunehmend erfolgreich aus dem Diskurs verbanne, mit öffentlichen pauschalen Aussagen über Muslime erstaunlich wenig Probleme. „Die langfristigen Stereotype des Islams (frauenfeindlich, gewalttätig, fanatisch) werden somit seit einigen Jahrzehnten in den Nachrichtenmedien strukturell reproduziert“, heißt es. Extrem stark sei das Negativbild des Islams und der Muslime im Fernsehen ausgeprägt.
Was die Experten von Politik und Kultur fordern
Auch christliche Medien seien mit dem „Betonen der Überlegenheit einer ‘christlichen Leitkultur’“ an einseitigen medialen Islamdiskursen beteiligt. Der Expertenkreis stellt fest, dass in deutschen Medienhäusern zwar eine wachsende Zahl muslimischer Journalistinnen und Journalisten tätig werde, aber die erforderliche „kritische Masse“ noch lange nicht erreicht sei, um die Kultur zu verändern.
Der Expertenkreis forderte auch von Politik und Kultur mehr Maßnahmen gegen islamfeindliche Einstellungen. Er spricht sich unter anderem für die Berufung eines Bundesbeauftragten für die Bekämpfung von Muslimfeindlichkeit aus. Neben Projekten in der Aus- und Fortbildung fordert er außerdem Beschwerde- und Meldestellen für Islamfeindlichkeit.